Prähistorische Killer-Pottwale

Der Pottwal Physeter catodon ist in vieler Hinsicht einzigartig. Nicht nur dass es sich um das größte Raubtier der Welt handelt (wenn man Bartenwale mal nicht mitzählt), sie gehören auch zu den am höchsten spezialisierten räuberischen Meeressäugern, die es überhaupt gibt. Trotz ihrer imposanten Größe sind die Pottwale alles in allem recht friedliche Tiere, die sich in aller Regel nur von vergleichsweise winzigen Beutetieren ernähren, denn selbst die größten Riesen-und Kolosskalmare wiegen nur einen kleinen Bruchteil dessen, was ein Pottwal auf die Wage bringt.

Das war aber nicht immer so. Während die heutigen Pottwale vor allem hochspezialisierte Kalmarjäger sind, gab es in der einstmal weitverzweigten Familie der Pottwale auch echte Makroprädatoren. Leider gibt es im Internet nur extrem wenige Informationen über diese äußerst interessanten Tiere, so dass ich hier auch nicht viel weiter geben kann. Allerdings finde ich allein die Tatsache, dass urtümliche Pottwale eine den Schwertwalen ähnliche Anatomie, und vermutlich auch eine ähnliche Lebensweise hervorgebracht haben, bevor sich die Schwertwale überhaupt entwickelten, ziemlich bemerkenswert. Einer dieser Killer-Pottwale (der Name wurde offiziell für die Benennung dieser Tiere vorgeschlagen) war Hoplocetus ritzi, dessen Fossilien in Groß Pampau, Schleswig-Holstein, gefunden wurden. Eine genauere Beschreibung des Skelettes habe ich leider nicht gefunden, es wird allerdings erwähnt, dass die Abkaumuster der Zähne von Hoplocetus denen des Schwertwales ähneln, was auch auf ein ähnliches Beuteschema und Fressverhalten hindeutet. Bei Pottwalen brechen die Zähne im Oberkiefer normalerweise nicht durch das Zahnfleisch, so dass die Zähne im Unterkiefer keine Abnutzungsspuren durch Antagonisten im Gegenkiefer aufweisen können, und auch die weiche Beute in Form von Cephalopoden und Fisch, dürfte die Zähne kaum abnützen. Zudem scheinen die Zähne beim Pottwal überhaupt keine Rolle mehr beim Beutefang zu besitzen, denn man hat schon gut genährte ausgewachsene Exemplare gefunden, deren Kiefer vollkommen deformiert oder teilweise sogar komplett fehlend waren, so dass ein Ergreifen von Beutetieren nicht möglich gewesen sein kann. Die wahrscheinlich wichtigste Rolle, welche die Zähne beim Pottwal spielen, ist der Gebrauch als Waffe bei Rivalenkämpfen, denn viele Bullen zeigen auf ihrer Haut Narben, die nur von den Zähnen eines anderen Pottwals kommen können.

Ein anderer Killer-Pottwal war Zygophyseter varolai aus dem späten Miozän, dessen beinahe vollständiges Skelett in Süditalien gefunden wurde. Er hatte sowohl im Ober-als auch im Unterkiefer sehr gut entwickelte große Zähne, und eine Reihe von Sonderentwicklungen des Schädels, die wahrscheinlich mit dem Walrat-Organ in Verbindung standen. Auch hier spricht vieles dafür, dass es sich um aktive Raubtiere gehandelt hat, die große Beutetiere jagten.

Aus Japan kennt man auch die extrem gut erhaltenen Fossilien eines weiteren Killer-Pottwales, Scaldicetus shigensis, inzwischen sinnvollerweise in Naganocetus umbekannt.  Der Schädel dieser Tiere zeigt sehr starke Parallelen zu jene von Schwertwalen, mit sehr kräftigen und relativ kurzen Kiefern, und einer vergleichsweise geringen Zahl von Zähnen. Dagegen sind die Kiefer der Pottwales sehr lang, schmal und beinahe pinzettenartig dünn, und auch keineswegs dazu geeignet, mit sehr großer und wehrhafter Beute umzugehen, geschweige denn Fleisch aus großen Kadavern von Säugetieren zu reißen. Es ist anzunehmen dass die Killerpottwale keineswegs auf Kopffüßer oder Fische spezialisierte Jäger waren, sondern ähnlich den Orcas über ein breites Beutespektrum verfügten, das neben Fischen und Kalmaren auch andere Wale, Robben, Seekühe und einige kaum bekannte marine Großsäuger, Schildkröten, Wasservögel und vielleicht auch marine Krokodilier beeinhaltet haben könnte. Über das Aussehen und die Größe dieser Wale liegen leider so gut wie keine Informationen im Net vor. Zygophyseter varolai hatte eine Länge von 5-6m, also so viel wie ein Orca, und wahrscheinlich dürften auch seine Verwandten ähnliche Größen erreicht haben. Leider konnte ich nur eine einzige Lebendrekonstruktion von Zygophseter finden, die allerdings relativ seltsam aussieht, da sie ihn mit einer freistehenden Schnauze und einer sehr hohen, vorne zugespitzen Melone zeigt, ähnlich einem alten Entenwalbullen. Inwiefern diese etwas bizarre Darstellung richtig ist, kann ich nicht sagen, da mir hier anatomische Daten und Vergleichsmöglichkeiten über den Schädel fehlen. Dem Schädel von Naganocetus kann ich eine solche freie Schnauze zumindest nicht entnehmen…                                                                                        

Sicherlich werden diese Killer-Pottwale auch nur vergleichsweise wenig Ähnlichkeiten mit den modernen Pottwalen gehabt haben, etwa die wellenförmigen Rückenbuckel, die sie anstatt einer richtigen Rückenflosse haben, oder die charakteristischen Längsrunzeln am Körper. Die weitaus weniger spezialisierten Zwerg-und Kleinstpottwale besitzen eine kleine sichelförmige Rückenflosse und haben auch keine Längsrunzeln, und wahrscheinlich war das auch bei den archaischen Killer-Pottwalen der Fall.

Ich hoffe ich konnte auch noch den einen oder anderen für diese faszinierenden Tiere etwas begeistern, denn in den normalen Büchern über Urtiere wird man sie vergeblich suchen.

Quellen:

  GIOVANNI BIANUCCI* and WALTER LANDINI
Killer sperm whale: a new basal physeteroid (Mammalia, Cetacea) from the Late Miocene of Italy

Oliver Hampe                                                                                                                       Middle/late Miocene hoplocetine sperm whale remains (Odontoceti: Physeteridae) of North Germany with an emended classification of the Hoplocetinae

Noch ein Bild vom Skelett von Naganocetus (Scaldicetus shigensis) auf Seite 10 des Newsletters vom Naturhistorischen Museums von Los Angeles:

http://collections.nhm.org/newsletters/pdfs/2006-01.pdf

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