Spätestens seit dem teilweise ziemlich schwachen „Jurassic Park 3“ dürfte Spinosaurus den meisten ein Begriff sein. In jüngster Zeit erhielt er zusätzliche Furore, da man aufgrund neuerer Funde inzwischen davon ausgeht, dass Längen von über 17m erreichen konnte, und damit größer war als alle anderen bekannten Landraubtiere. Das Erscheinungsbild des Spinosaurus hat sich in den letzten Jahren recht stark gewandelt. Wurde er in älteren Büchern noch in der Regel als typischer Carnosauier mit großem bulligen Kopf und normalen, wenngleich auch etwas großen Armen dargestellt, weiß man inzwischen dass er in vieler Hinsicht anders war. Neuere Bilder, die auf den tatsächlichen Schädelproportionen basieren, zeigen ihn mit mit einem langen und relativ schmalen Schädel, und einer langen Schnauze, mit einer deutlichen Einkerbung an der Spitze. Zudem hatte Spinosaurus auch einen kleinen Knochenbuckel auf der Stirn vor den Augen, was in älteren Darstellungen auch nicht berücksichtigt wurde (und woraus in JP3 zwei Buckel gemacht wurden).Auch die Hände werden nun in aller Regel so gezeigt, wie sie bei seinen Verwandten aussahen, nämlich mit einer übergroßen kräftigen Daumenklaue.
Was praktisch immer noch unverändert geblieben ist, ist das große Segel das auf dem Rücken trohnt. Diese Darstellung ist so weit verbreitet und so allgemein akzeptiert, dass es beinahe ketzerisch anmutet, wenn man davon ausgeht, dass Spinosaurus überhaupt kein Segel hatte.
Die Frage ist nun natürlich, warum Spinosaurus kein Segel gehabt haben soll. Um das zu beantworten, muss man erst einmal etwas mehr auf die Anatomie des Spinosaurus eingehen. Die Rückenwirbel des Spinosaurus besaßen wie jene praktisch aller anderer Wirbeltiere nach oben weißende Dornfortsätze. Allerdings waren diese teilweise ganz enorm verlängert, und dürften bei den größten Exemplaren teilweise über zwei Meter lang gewesen sein. Diese extrem verlängerten Dornfortsätze führten zu der Annahme, dass sie ein dünnes Segel bildeten. Hier muss man nun eigentlich auch fragen, warum Spinosaurus überhaupt ein Segel gehabt haben soll. Sind derartig verlängerte Wirbelausläufer tatsächlich ein Beweis dafür, dass ein Tier eine Art Rückensegel besaß? Der Grund warum bei Spinosaurus (und anderen) allgemein davon ausgegangen wird, dass er ein Segel hatte, geht vor allem auf hausgemachte Vorurteile zurück. Spinosaurus war ein Reptil, und daher hatten die Leute die ihn untersuchten wohl eher die mit allerlei schuppigen Hautlappen, Stachelschuppen und in einigen ganz wenigen Fällen auch mit Rückenkämmen ausgestatteten Echsen im Hinterkopf, als sie ihn rekonstruieren wollten. Daher mußten diese seltsamen Wirbel ganz einfach Haut aufgespannt, und einen archaisch bizarren Rückenschmuck gebildet haben, etwas anderes wäre bei einem Reptil ganz undenkbar…
Bevor ich genauer auf die eigentlichen Rückenwirbel eingehe, möchte ich noch etwas über die verschiedenen Schlussfolgerungen schreiben, die von dieser Segelvorstellung ausgingen. Eine weit verbreitete Vorstellung geht davon aus, dass der Spinosaurus dieses Segel benutzte, um seine Körperoberfläche zu vergrößern, damit er sich in der Sonne schneller aufwärmte. Diese Idee geht von einigen falschen Grundlagen aus. Zum einen ist es inzwischen ziemlich gesichert, dass Dinosaurier mehr oder weniger warmblütig gewesen sind, und daher von externen Wärmequellen relativ unabhängig waren. Zum anderen war Spinosaurus ein wirklich gewaltiges Tier, das wahrscheinlich ein Gewicht von über neun Tonnen erreichte. Für ein Wesen dieser Größe ist es schlicht unmöglich sich alleine durch Sonnenwärme aufzuwärmen, da die Körperoberfläche (selbst wenn sie durch ein Segel vergrößert wäre) im Vergleich zur Körpermasse viel zu gering wäre. Schon unter den heutigen Reptilien benötigen die größten unter ihnen teilweise stundenlange Sonnenbäder um auf eine entsprechende Körpertemperatur zu kommen. Genau genommen gibt es bei sehr großen Tieren in der Regel kaum Probleme mit Unterkühlung, die durch Stoffwechselprozesse im Körper gebildete Wärme kann durch die verhältnissmäßig geringe Körperoberfläche nur geringfügig verloren gehen. Daher ist nicht Unterkühlung, sondern Überhitzung ein Problem. Elefanten etwa haben darum riesige, gut durchblutete Ohren, über die sie überschüssige Wärme an die Umgebung abgeben können. Insofern hätte ein Segel wenn überhaupt als Wärmeableiter einen Sinn gehabt. Da Spinosaurus aber in einer Landschaft lebte, in der es viel Wasser gab, hätte er sich auch ganz einfach abkühlen können, indem er bei zu großer Hitze ab und zu mal ein Bad nahm. Außerdem hatten andere große Theropoden wie Giganotosaurus oder auch T-rex kein solches „Luxusorgan“ und hatten daher allem Anschein nach andere Möglichkeiten, einer Überhitzung entgegen zu wirken. Ob sich daher wirklich ein so aufwendiges Organ entwickelte um eine thermoregulierende Rolle zu spielen, obwohl es sicherlich auch wenige aufwändige Alternativen gab, ist also eher fraglich.
Eine andere, ebenfalls weit verbreitete Vorstellung ist jene, dass ein solches Rückensegel eine Rolle in der innerartlichen Kommunikation gespielt hat, und vielleicht etwa bei den Männchen zur gegenseitigen Einschüchterung diente. Um das genauer sagen zu können, bräuchte man eigentlich genauere Informationen, etwa ob alle Spinosaurier solche langen Wirbelausläufer hatten, oder womöglich nur Männchen. Bisher ist aber noch keine ohne bekannt. Zudem erscheint es nicht allzu plausibel dass ein großer Fleischfresser ein derartig großes und in physiologischen Sinne teuer erkauftes Merkmal auszubilden.
Unabhängig der verschiedenen Spekulationen über den Sinn eines solchen Segels, wurde es auch des öfteren als Argument herangezogen, um zu zeigen dass Spinosaurus ein Aasfresser gewesen sein soll, da es viel zu verletztlich gewesen sein soll, als das er damit auf die Jagd gegangen sein kann. Zudem wurden die geraden Zähne als Indiz dafür gesehen, dass er das Fleisch verwesender Kadaver fraß. Die Vorstellung eines jagdunfähigen neun Tonnen schweren Kolosses, der durch die Gegend stampft und nach verfaulten Fleisch sucht, ist zugegebenerweise ziemlich absurd. Kein Ökosystem kann ständig derartige Massen an frei zugänglichen Kadavern liefern, um eine ganze Population solcher Monster zu ernähren. Inzwischen geht man aufgrund von Vergleichen mit verwandten Arten wie Baryonyx oder Suchomimus eher davon aus, dass Spinosauriden eine gewisse Spezialisierung auf den Fang großer Fische zeigten, die sie zusammen mit den kräftigen Daumenkrallen und den langen schmallen Schnauzen, und den geraden krokodilähnlichen Zähnen erbeuteten. Im Gegensatz zu verwandten Arten wie Suchomimus waren die Zähne allerdings weniger zahlreich und die Kiefer stärker, was wohl auf eine etwas ausgewogenere Nahrung hindeutet, die öfters auch Landtiere miteinschloss. Seltsamerweise wurde dies teilweise als Argument für eine Aasfresserlebensweise benutzt.
Aber zurück zu dem Rücken. Spinosaurus wird oft in einem Atemzug mit dem permischen Reptil Dimetrodon und manchmal auch Edaphosaurus genannt, und behauptet, dass es sich bei ihren Wirbelausläufern um parallele Entwicklungen handelte. Betrachtet man aber einmal die Dornfortsätze von diesen Tieren genauer, so fällt auf, dass sie gänzlich anders sind als die von Spinosaurus. Das einzige was gleich ist, ist dass es sich um Dornfortsätze der Rückenwirbel handelt, und dass diese ziemlich lang sind. Allerdings sind sie bei Dimetrodon und Edaphosaurus ziemlich dünn, und im Querschnitt beinahe kreisrund, bei Edaphosaurus weise sie sogar noch in Reihen angeordnete seitliche Ausläufer. Bei diesen Tieren ist es durchaus gut möglich dass zwischen diesen runden Ausläufern Haut gespannt war, die womöglich bei einer schnelleren Erhöhung der Körpertemperatur diente. Bei der doch relativ geringen Größe dieser höchstwahrscheinlich noch wechselwarmen Tiere hätte ein solches Segel einen deutlichen Vorteil erbracht, wenn es darum ging morgens vermehrt Wärme aufzutanken, und so den Tag länger aktiv nutzen zu können. Aber auch für diese allgemein geäußerte These gibt es an sich keine echten Beweise, vielleicht spielten die Segel bei diesen Tieren eine Rolle im Sozialverhalten, oder hatten sogar noch andere Funktionen.
Bei diesem Dimetrodon-Skelett aus der Schausammlung des Paläontologischen Instituts in Tübingen sieht man sehr gut, dass die Dornfortsätze von Dimetrodon ausgesprochen dünn, und von beinahe rundem Querschnitt waren, ganz anders als jene von Spinosaurus.
Die Dornfortsätze bei Spinosaurus sahen dagegen ganz anders aus. Genau genommen waren sie beinahe identisch mit ganz normalen Dornfortsätzen, nur dass sie eben deutlich länger, und oben etwas verbreitert waren. Im Gegensatz zu Dimetrodons Dornfortsätzen waren sie nicht rund im Querschnitt, sondern seitlich abgeflacht, und viel länger als breit, und an der Vorder-und Hinterkante etwas verdickt. Normalerweise dienen solche Dornfortsätze als Ansatzstellen für Muskeln. Zum einen spannen sich zwischen ihnen Muskeln, welche die Wirbelsäule kräftigen, zum anderen dienen sie seitlichen Muskeln als Halt. Betrachtet man die Dornfortsätze von Spinosaurus einmal ganz unvoreingenommen und versucht die ganzen mehr oder weniger liebgewonnenen Bilder eines Rückensegels aus dem Kopf zu verbannen, so gibt es eigentlich keine Indikation dafür, dass sich über sie nur Haut spannte. Wenn die Dornfortsätze einfach nur sehr lang waren, ist es an sich naheliegend dass auch die an ihnen ansetzenden Muskeln ensprechend weit nach oben reichten. Das ist nun auch keineswegs reine Spekulation, denn ganz ähnliche Dornfortsätze sind von anderen Tieren gut gekannt.
Unter den Rindern gibt es einige große Arten welche einen sehr stark ausgebildeten Rückenbuckel besitzen, insbesondere Bisons und Wisente, aber auch die asiatischen Gaur haben einen solchen. Dabei handelt es sich um Rückenmuskeln, die an den stark verlängerten Dornfortsätzen der Wirbelkörper sitzen. Der Schulterhücker der Zebus dagegen hat keine knöcherne Stütze und besteht ausschließlich aus dem stark vergrößerten Musculus rhomboideus. Bei dem ausgestorbenen Riesenbison Bison antiquus erreichten diese Ausläufer der Wirbel sogar Proportionen, die durchaus mit denen von Spinosaurus vergleichbar sind. Allerdings käme wohl kein Mensch darauf, dass diese ausgestorbenen Rinde eine Art Rücksegel besaßen, sondern dass der schon bei ihren noch lebenden Verwandten vorhandene Schulter-oder Rückenbuckel einfach in ganz extremer Weise ausgeprägt war. In ihren Proportionen sind sich die Dornfortsätze von Spinosaurus und „buckeligen“ Huftieren äußerst ähnlich, und es scheint sehr wahrscheinlich dass auch Spinosaurus keine nur von Haut bedeckten Knochen auf dem Rücken hatte, sondern dass auch bei ihm die Rückenmuskulatur bis an die Spitzen der Dornfortsätze reichten. Wieviel Muskelmasse dann tatsächlich über diesen Knochen gewesen wäre, ist allerdings schwer zu sagen. Betrachtet man etwa heutige Bisons oder Gaur, so fällt auf dass ihr Buckel eigentlich gar nicht einmal besonders breit ist, und nach oben hin immer schmaler wird. Man dürfte sich einen Spinosaurus mit einem muskelbedeckten „Segel“ also nicht als eine Art prähistorische Glöckner von Notre-Damme vorstellen, sondern eher dahingehen, dass sein Rücken nach ober gehend im Querschnitt wie ein umgedrehtes schmales V ausgesehen hat.
Bei diesem Skelett einer ausgestorbenen Wisentart, welches ich im Naturhistorischen Museum Wien aufgenommen habe, sieht man sehr gut die massive Verlängerung der Dornfortsätze. Diese Dornfortsätze sind nicht wie bei Dimetrodon dünn und mit runden Querschnitt, sondern deutlich länger als breit, und obendrein an der Spitze breiter als an der Basis, so dass die Muskeln des Rückens einen guten Ansatz finden.
Auf diesem, leider nicht allzu gut gewordenen Bild zweier Bisons aus dem Schönbrunner Zoo sieht man den Rückenbuckel am lebenden Tier. Durch das dicke Fell sieht er voluminöser aus als er eigentlich ist, aber bei dem Bison auf der linken Seite, sieht man ganz gut, dass es sich hierbei nicht um einen massiven „Quasimodo-Buckel“ handelt, sondern dass er verhältnissmäßig schmal ist, und über den Schulter im Questschnitt wie ein stumpfes Dreieck ausläuft.
Wenn aber Spinosaurus nun tatsächliche eine Art Büffelrücken hatte, wozu brauchte er ihn dann? Zugegebenerweise habe ich darauf auch noch keine zufriedenstellende Antwort gefunden, aber das waren die Erklärungsversuche für ein Segel auch nicht. Falls Spinosaurus tatsächlich in Sumpfgebieten lebte, und in gebückter Haltung nach großen Fischen jagte, wäre ein solcher Rücken möglicherweise wie eine Art Stütze denkbar. Es wurde auch schon vermutet, dass sie eine Art Fetthöcker stützten, aber das ist wenig wahrscheinlich. Die einzigen lebenden Tiere mit Fetthöckern sind Dromedare und Kamele, wobei bei diesen die Höcker keinerlei Stütze durch die Wirbelsäule haben, während sich bei den buckeltragenden Rinderarten eigentlich keine größeren Fettansammlungen an diesen Stellen befinden. Um Fett zu tragen, benötigt es keiner besonderen Knochen um es zu stützen, bei Muskeln dagegen schon. Auch bei dem Riesenhirsch Megaloceros wurde schon spekuliert seine verlängerten Dornfortsätze an der Schulter hätten einen Fetthöcker getragen, viel wahrscheinlicher ist aber dass die an ihm sitzenden Muskel und Bänder ähnlich wie bei Elchen und anderen Tiere mit schweren Köpfen oder Hälsen als zusätzliche Stütze dienten.
Neben Spinosaurus gab es auch andere ausgestorbene Reptilien welche anatomisch ähnliche verlängerte Dornfortsätze hatten, etwa sein etwas kleinerer Verwandter Suchomimus, bei dem sie allerdings noch deutlich kürzer waren. Auch Ouranosaurus, ein Ornithopode, hatte sehr stark verlängerte Dornfortsätze, die allgemein als Segel gedeutet werden, aber wohl auch eher wie bei Büffeln als Muskelansätze gedient haben, zumal sie wie bei ihnen ihr Zentrum über den Vorderbeinen hatten. Ouranosaurus hatte zudem noch waagrecht verlaufende verknöcherte Sehnen auf den Dornfortsätzen, was allein schon zeigt, dass er kein dünnes Segel gehabt haben kann, sondern einen zumindest einigermaßen dicken Rückenkamm, vergleichbar einem Riesenbison. Daneben gab es auch den relativ kleinen Archosaurier Arizonasaurus, dessen Rückenkamm sein Zentrum ähnlich wie Spinosaurus weiter hinten hatte.
Nach ausgiebiger Betrachtung dieses Themas, insbesondere nach dem Vergleich mit den anatomischen Begebenheiten anderer Tiere, kann ich ehrlich gesagt nicht mehr glauben, dass Spinosaurus und Arten mit vergleichbaren Dornfortsätzen an den Wirbeln tatsächlich häutige Segel besaßen. In der Paläontologie ist leider ziemlich viel auf Mutmaßungen und Spekulationen basierend, weshalb viele ausgestorbene Tiere im Laufe der Zeit ihr Aussehen in Büchern auch stark verändert haben. Vielfach wurden auch Dinge rekonstruiert, ohne wirklich genau nachgeprüft zu haben, ob es überhaupt realistisch ist. Darum sehen wir immer noch in manchen Büchern aufrecht laufende Tyrannosaurier, die sich auf ihrem Schwanz aufzstützen, oder Sauropoden die ihren Hals in Schwanenmanier verkrümmen. Leider ist es manchmal ziemlich schwierig neue Vorstellungen anzunehmen, und alte abzugeben, weshalb sich neue Ideen oft nur sehr langsam einigermaßen etablieren können. Über Jahrzehnte ging man einfach mal davon aus dass die Ausläufer an den Wirbeln des Spinosaurus ein Segel gespannt haben müssen, und debatierte erhitzt über den Zweck eines solchen Segels. Bis sich aber tatsächlich jemand einmal fragte, ob ein solches Tier nun überhaupt zwingend ein Segel gehabt haben muss (oder kann), ist ziemlich viel Zeit vergangen.
Quellen:
Jack Bowman Bailey
Neural spine elongation in dinosaurs; sailbacks or buffalo-backs?
Western Illinois University, Department of Geology, Macomb, IL, United States