Die teuflischen Mäusespuren von Devon

In der Nacht von 8. auf den 9. Februar 1855 soll in einigen Gemeinden in England der Leibhaftige umgegangen sein. Nach dem starken Schneefall vom 8. Februar fand man am nächsten Morgen im Gebiet von Exeter und Süd-Devon beinahe überall seltsame Spuren im Schnee, die Hufabdrücken glichen. Sie verliefen in schnurgeraden Linien, mit einer Spanne von etwa 20 cm von Abdruck zu Abdruck. Die Spuren selbst waren 38-63 Millimeter groß, und ähneltem einen ovalen, hinten offenem Huf. Bei einigen Abdrücken schien der vermeintliche Huf auch vorne gespalten zu sein, und auch einige erhaltene Zeichnungen der Abdrücke zeigen eine recht große Variabilität derselben.

Ungewöhnlich war aber nicht nur die Form der Verlauf der Spuren, sondern auch dass man sie praktisch überall fand, auf Feldern, Mauern, Fensterbänken, Gärten und sogar von Mauern umgebenen Höfen. Manche Spuren sollen sogar einfach aufgehört haben, als habe sich der Verursacher in Luft aufgelöst, während andere scheinbar durch Abflussrohre und kleine Löcher in Hecken führten.  Die unzähligen Fährten in den verschiedenen Gemeinden müssen insgesamt mehrere Kilometer lang gewesen sein.

Für viele der damaligen Menschen war die Sache klar, hier konnte es nicht mit rechten Dingen zugegangen sein, und das Wesen dass diese Spuren hinterlassen hatte, mußte zweifellos der Hölle selbst entstiegen sein. Darum findet dieses Phänomen auch oftmals Erwähnung unter der Bezeichnung „Teufelsspuren von Devon“. Die an winzige Hufeisen erinnernden Spuren, die scheinbare Fähigkeit über Dächer zu fliegen, durch Wände zu gehen oder gar völlig zu verschwinden, waren vielen Leuten äußerst unheimlich.

Etwas bodenständigere, und um rationalere Erklärungen bemühte Personen versuchten eine weniger mysteriöse Erklärung zu finden. Es wurde behauptet, dass alles nur ein Schwindel sei, und die Spuren mit Hilfe eines heißen Metallgegenstandes in den Schnee gerückt worden, dass sie von Fischottern, Dachsen, Hunden, Katzen, Eseln oder sogar einer bisher unbekannten Albatrossart stammten, aber keine dieser Erklärungsversuche schien wirklich plausibel. In vielen Fällen wird auch heute noch bei der Behandlung der Teufelsspuren von Devon das Vorkommnis stark mystifiziert.

Allerdings gibt es für all jene Spuren eine ausgesprochen einfache, und alles erklärende Lösung. Wie Karl Shuker schon in „Der Weltatlas der rätselhaften Phänomene“ schrieb, stammten die seltsamen Spuren mit größter Wahrscheinlichkeit von Waldmäusen, die durch besonders grimmige Kälte getrieben, nachts in den Dörfern nach Nahrung suchten. Waldmäuse bewegen sich im Schnee springend fort, dabei formen sie an kleine Hufabdrücke erinnernde Spuren im Schnee. Da sie nicht immer gleich landen, sehen diese auch nicht alle gleich aus, und sind manchmal vorne offen. Zudem erklärt dies nicht nur den geringen Abstand zwischen den Spuren, sondern auch die gerade Spur. Während bei einem Zweibeiner die Spuren seitlich immer etwas versetzt sind, liegen Spuren der springenden Waldmaus immer genau hintereinander. Da diese Tiere auf offenen Flächen sehr gefährdet sind, versuchen sie diese auch möglichst schnell zu überqueren, was zur Folge hat, dass die Spuren in sehr geraden Linien liegen können. Die Fälle in denen Spuren abrupt aufhörten, läßt sich sehr einfach damit erklären, dass die Mäuse von Eulen gefangen wurden. Auch die Durchquerung von Rohren und kleinen Ritzen, sowie das Überwinden von Mauern und Dächern ergeben so einen Sinn, denn Waldmäuse sind sehr geschickte Kletterer, und können sich auch durch enge Gänge und Öffnungen zwängen.

Hier ein Bild einer Waldmaus, das ich vor ein paar Wochen beim Spazierengehen aufgenommen habe:

Waldmaus

Da ich vorletzten Winter im Wald Spuren gefunden habe, die den Beschreibungen und Darstellungen der „Teufelsspuren“ exakt glichen, und genauso aussahen, als stammten sie von kleinen Hufen, kann ich diese Theorie nur bekräftigen. Leider hatte ich zu diesem Zeitpunkt keinen Photoapperat zur Hand, wie so oft wenn man etwas interessantes photographieren möchte.

Nun kann man sich auch fragen warum damals scheinbar nicht schon jemand auf diese Idee gekommen ist. Zum einen kann dies durchaus der Fall sein, ohne dass dies überliefert wurde, während die skurilen und wenig einleuchtenden Erklärungsversuche ihren Weg in die Aufzeichnungen fanden. Vielleicht war das sogar ganz bewußt, denn nicht anders als heute werden gewiefte Journalisten auch schon früher enthüllende Erklärungen ihren Lesern verschwiegen haben, um die ganze Angelegenheit mysteriöser zu machen. Niemand interessiert sich für Mäusespuren im Schnee, dem gesunden Menschenverstand trotzende Teufelsspuren dagegen schon.

Zudem macht man sicht heute oftmals gar nicht mehr klar, wie abergläubisch die Bevölkerung früher gewesen ist. Dies fällt vor allem auf wenn man zeitgenössische Literatur aus dem 19. Jahrhundert liest. Viele Menschen waren damals oft auf eine unglaublich naive Weise abergläubisch, und der Teufel oder böse Mächte wurden von vielen hinter jedem Missgeschick und jedem Rätsel vermutet. Tatsächlich sind in vielen Gegenden der Welt die Menschen selbst heute noch so abergläubisch, sei es nun in Südamerika, Afrika oder Teilen Asiens, und es verwundert nicht dass man im 19. Jahrhundert hinter seltsamen Spuren im Schnee infernalische Mächte am Wallen vermutete. Vielleicht erschien vielen eine natürliche Erklärung sogar einfach zu banal um wahr zu sein. Besonders im Internet stößt man immer wieder darauf, dass sich viele Menschen nicht mit einfachen, logischen und an sich gut nachzuvollziehenden Erklärungen abfinden wollen, und statt dessen lieber verworrenen Gedankenkonstrukten hinterher laufen, egal wie oft man sie widerlegt.

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Hatte Spinosaurus wirklich ein Segel auf dem Rücken?

Spätestens seit dem teilweise ziemlich schwachen „Jurassic Park 3“ dürfte Spinosaurus den meisten ein Begriff sein. In jüngster Zeit erhielt er zusätzliche Furore, da man aufgrund neuerer Funde inzwischen davon ausgeht, dass Längen von über 17m erreichen konnte, und damit größer war als alle anderen bekannten Landraubtiere. Das Erscheinungsbild des Spinosaurus hat sich in den letzten Jahren recht stark gewandelt. Wurde er in älteren Büchern noch in der Regel als typischer Carnosauier mit großem bulligen Kopf und normalen, wenngleich auch etwas großen Armen dargestellt, weiß man inzwischen dass er in vieler Hinsicht anders war. Neuere Bilder, die auf den tatsächlichen Schädelproportionen basieren, zeigen ihn mit mit einem langen und relativ schmalen Schädel, und einer langen Schnauze, mit einer deutlichen Einkerbung an der Spitze. Zudem hatte Spinosaurus auch einen kleinen Knochenbuckel auf der Stirn vor den Augen, was in älteren Darstellungen auch nicht berücksichtigt wurde (und woraus in JP3 zwei Buckel gemacht wurden).Auch die Hände werden nun in aller Regel so gezeigt, wie sie bei seinen Verwandten aussahen, nämlich mit einer übergroßen kräftigen Daumenklaue.

Was praktisch immer noch unverändert geblieben ist, ist das große Segel das auf dem Rücken trohnt. Diese Darstellung ist so weit verbreitet und so allgemein akzeptiert, dass es beinahe ketzerisch anmutet, wenn man davon ausgeht, dass Spinosaurus überhaupt kein Segel hatte.

Die Frage ist nun natürlich, warum Spinosaurus kein Segel gehabt haben soll. Um das zu beantworten, muss man erst einmal etwas mehr auf die Anatomie des Spinosaurus eingehen. Die Rückenwirbel des Spinosaurus besaßen wie jene praktisch aller anderer Wirbeltiere nach oben weißende Dornfortsätze. Allerdings waren diese teilweise ganz enorm verlängert, und dürften bei den größten Exemplaren teilweise über zwei Meter lang gewesen sein. Diese extrem verlängerten Dornfortsätze führten zu der Annahme, dass sie ein dünnes Segel bildeten. Hier muss man nun eigentlich auch fragen, warum Spinosaurus überhaupt ein Segel gehabt haben soll. Sind derartig verlängerte Wirbelausläufer tatsächlich ein Beweis dafür, dass ein Tier eine Art Rückensegel besaß? Der Grund warum bei Spinosaurus (und anderen) allgemein davon ausgegangen wird, dass er ein Segel hatte, geht vor allem auf hausgemachte Vorurteile zurück. Spinosaurus war ein Reptil, und daher hatten die Leute die ihn untersuchten wohl eher die mit allerlei schuppigen Hautlappen, Stachelschuppen und in einigen ganz wenigen Fällen auch mit Rückenkämmen ausgestatteten Echsen im Hinterkopf, als sie ihn rekonstruieren wollten. Daher mußten diese seltsamen Wirbel ganz einfach Haut aufgespannt, und einen archaisch bizarren Rückenschmuck gebildet haben, etwas anderes wäre bei einem Reptil ganz undenkbar…

Bevor ich genauer auf die eigentlichen Rückenwirbel eingehe, möchte ich noch etwas über die verschiedenen Schlussfolgerungen schreiben, die von dieser Segelvorstellung ausgingen. Eine weit verbreitete Vorstellung geht davon aus, dass der Spinosaurus dieses Segel benutzte, um seine Körperoberfläche zu vergrößern, damit er sich in der Sonne schneller aufwärmte. Diese Idee geht von einigen falschen Grundlagen aus. Zum einen ist es inzwischen ziemlich gesichert, dass Dinosaurier mehr oder weniger warmblütig gewesen sind, und daher von externen Wärmequellen relativ unabhängig waren. Zum anderen war Spinosaurus ein wirklich gewaltiges Tier, das wahrscheinlich ein Gewicht von über neun Tonnen erreichte. Für ein Wesen dieser Größe ist es schlicht unmöglich sich alleine durch Sonnenwärme aufzuwärmen, da die Körperoberfläche (selbst wenn sie durch ein Segel vergrößert wäre) im Vergleich zur Körpermasse viel zu gering wäre. Schon unter den heutigen Reptilien benötigen die größten unter ihnen teilweise stundenlange Sonnenbäder um auf eine entsprechende Körpertemperatur zu kommen. Genau genommen gibt es bei sehr großen Tieren in der Regel kaum Probleme mit Unterkühlung, die durch Stoffwechselprozesse im Körper gebildete Wärme kann durch die verhältnissmäßig geringe Körperoberfläche nur geringfügig verloren gehen. Daher ist nicht Unterkühlung, sondern Überhitzung ein Problem. Elefanten etwa haben darum riesige, gut durchblutete Ohren, über die sie überschüssige Wärme an die Umgebung abgeben können. Insofern hätte ein Segel wenn überhaupt als Wärmeableiter einen Sinn gehabt. Da Spinosaurus aber in einer Landschaft lebte, in der es viel Wasser gab, hätte er sich auch ganz einfach abkühlen können, indem er bei zu großer Hitze ab und zu mal ein Bad nahm. Außerdem hatten andere große Theropoden wie Giganotosaurus oder auch T-rex kein solches „Luxusorgan“ und hatten daher allem Anschein nach andere Möglichkeiten, einer Überhitzung entgegen zu wirken. Ob sich daher wirklich ein so aufwendiges Organ entwickelte um eine thermoregulierende Rolle zu spielen, obwohl es sicherlich auch wenige aufwändige Alternativen gab, ist also eher fraglich.

Eine andere, ebenfalls weit verbreitete Vorstellung ist jene, dass ein solches Rückensegel eine Rolle in der innerartlichen Kommunikation gespielt hat, und vielleicht etwa bei den Männchen zur gegenseitigen Einschüchterung diente. Um das genauer sagen zu können, bräuchte man eigentlich genauere Informationen, etwa ob alle Spinosaurier solche langen Wirbelausläufer hatten, oder womöglich nur Männchen. Bisher ist aber noch keine ohne bekannt. Zudem erscheint es nicht allzu plausibel dass ein großer Fleischfresser ein derartig großes und in physiologischen Sinne teuer erkauftes Merkmal auszubilden.

Unabhängig der verschiedenen Spekulationen über den Sinn eines solchen Segels, wurde es auch des öfteren als Argument herangezogen, um zu zeigen dass Spinosaurus ein Aasfresser gewesen sein soll, da es viel zu verletztlich gewesen sein soll, als das er damit auf die Jagd gegangen sein kann. Zudem wurden die geraden Zähne als Indiz dafür gesehen, dass er das Fleisch verwesender Kadaver fraß. Die Vorstellung eines jagdunfähigen neun Tonnen schweren Kolosses, der durch die Gegend stampft und nach verfaulten Fleisch sucht, ist zugegebenerweise ziemlich absurd. Kein Ökosystem kann ständig derartige Massen an frei zugänglichen Kadavern liefern, um eine ganze Population solcher Monster zu ernähren. Inzwischen geht man aufgrund von Vergleichen mit verwandten Arten wie Baryonyx oder Suchomimus eher davon aus, dass Spinosauriden eine gewisse Spezialisierung auf den Fang großer Fische zeigten, die sie zusammen mit den kräftigen Daumenkrallen und den langen schmallen Schnauzen, und den geraden krokodilähnlichen Zähnen erbeuteten. Im Gegensatz zu verwandten Arten wie Suchomimus waren die Zähne allerdings weniger zahlreich und die Kiefer stärker, was wohl auf eine etwas ausgewogenere Nahrung hindeutet, die öfters auch Landtiere miteinschloss. Seltsamerweise wurde dies teilweise als Argument für eine Aasfresserlebensweise benutzt.

Aber zurück zu dem Rücken. Spinosaurus wird oft in einem Atemzug mit dem permischen Reptil Dimetrodon und manchmal auch Edaphosaurus genannt, und behauptet, dass es sich bei ihren Wirbelausläufern um parallele Entwicklungen handelte. Betrachtet man aber einmal die Dornfortsätze von diesen Tieren genauer, so fällt auf, dass sie gänzlich anders sind als die von Spinosaurus. Das einzige was gleich ist, ist dass es sich um Dornfortsätze der Rückenwirbel handelt, und dass diese ziemlich lang sind. Allerdings sind sie bei Dimetrodon und Edaphosaurus ziemlich dünn, und im Querschnitt beinahe kreisrund, bei Edaphosaurus weise sie sogar noch in Reihen angeordnete seitliche Ausläufer. Bei diesen Tieren ist es durchaus gut möglich dass zwischen diesen runden Ausläufern Haut gespannt war, die womöglich bei einer schnelleren Erhöhung der Körpertemperatur diente. Bei der doch relativ geringen Größe dieser höchstwahrscheinlich noch wechselwarmen Tiere hätte ein solches Segel einen deutlichen Vorteil erbracht, wenn es darum ging morgens vermehrt Wärme aufzutanken, und so den Tag länger aktiv nutzen zu können. Aber auch für diese allgemein geäußerte These gibt es an sich keine echten Beweise, vielleicht spielten die Segel bei diesen Tieren eine Rolle im Sozialverhalten, oder hatten sogar noch andere Funktionen. 

Bei diesem Dimetrodon-Skelett aus der Schausammlung des Paläontologischen Instituts in Tübingen sieht man sehr gut, dass die Dornfortsätze von Dimetrodon ausgesprochen dünn, und von beinahe rundem Querschnitt waren, ganz anders als jene von Spinosaurus.

Dimetrodon-Skelett

 Die Dornfortsätze bei Spinosaurus sahen dagegen ganz anders aus. Genau genommen waren sie beinahe identisch mit ganz normalen Dornfortsätzen, nur dass sie eben deutlich länger, und oben etwas verbreitert waren. Im Gegensatz zu Dimetrodons Dornfortsätzen waren sie nicht rund im Querschnitt, sondern seitlich abgeflacht, und viel länger als breit, und an der Vorder-und Hinterkante etwas verdickt. Normalerweise dienen solche Dornfortsätze als Ansatzstellen für Muskeln. Zum einen spannen sich zwischen ihnen Muskeln, welche die Wirbelsäule kräftigen, zum anderen dienen sie seitlichen Muskeln als Halt. Betrachtet man die Dornfortsätze von Spinosaurus einmal ganz unvoreingenommen und versucht die ganzen mehr oder weniger liebgewonnenen Bilder eines Rückensegels aus dem Kopf zu verbannen, so gibt es eigentlich keine Indikation dafür, dass sich über sie nur Haut spannte. Wenn die Dornfortsätze einfach nur sehr lang waren, ist es an sich naheliegend dass auch die an ihnen ansetzenden Muskeln ensprechend weit nach oben reichten. Das ist nun auch keineswegs reine Spekulation, denn ganz ähnliche Dornfortsätze sind von anderen Tieren gut gekannt.

Unter den Rindern gibt es einige große Arten welche einen sehr stark ausgebildeten Rückenbuckel besitzen, insbesondere Bisons und Wisente, aber auch die asiatischen Gaur haben einen solchen. Dabei handelt es sich um Rückenmuskeln, die an den stark verlängerten Dornfortsätzen der Wirbelkörper sitzen. Der Schulterhücker der Zebus dagegen hat keine knöcherne Stütze und besteht ausschließlich aus dem stark vergrößerten Musculus rhomboideus. Bei dem ausgestorbenen Riesenbison Bison antiquus erreichten diese Ausläufer der Wirbel sogar Proportionen, die durchaus mit denen von Spinosaurus vergleichbar sind. Allerdings käme wohl kein Mensch darauf, dass diese ausgestorbenen Rinde eine Art Rücksegel besaßen, sondern dass der schon bei ihren noch lebenden Verwandten vorhandene Schulter-oder Rückenbuckel einfach in ganz extremer Weise ausgeprägt war. In ihren Proportionen sind sich die Dornfortsätze von Spinosaurus und „buckeligen“ Huftieren äußerst ähnlich, und es scheint sehr wahrscheinlich dass auch Spinosaurus keine nur von Haut bedeckten Knochen auf dem Rücken hatte, sondern dass auch bei ihm die Rückenmuskulatur bis an die Spitzen der Dornfortsätze reichten. Wieviel Muskelmasse dann tatsächlich über diesen Knochen gewesen wäre, ist allerdings schwer zu sagen. Betrachtet man etwa heutige Bisons oder Gaur, so fällt auf dass ihr Buckel eigentlich gar nicht einmal besonders breit ist, und nach oben hin immer schmaler wird. Man dürfte sich einen Spinosaurus mit einem muskelbedeckten „Segel“ also nicht als eine Art prähistorische Glöckner von Notre-Damme vorstellen, sondern eher dahingehen, dass sein Rücken nach ober gehend im Querschnitt wie ein umgedrehtes schmales V ausgesehen hat.

 Bei diesem Skelett einer ausgestorbenen Wisentart, welches ich im Naturhistorischen Museum Wien aufgenommen habe, sieht man sehr gut die massive Verlängerung der Dornfortsätze. Diese Dornfortsätze sind nicht wie bei Dimetrodon dünn und mit runden Querschnitt, sondern deutlich länger als breit, und obendrein an der Spitze breiter als an der Basis, so dass die Muskeln des Rückens einen guten Ansatz finden.

Wisen-Skelett

Auf diesem, leider nicht allzu gut gewordenen Bild zweier Bisons aus dem Schönbrunner Zoo sieht man den Rückenbuckel am lebenden Tier. Durch das dicke Fell sieht er voluminöser aus als er eigentlich ist, aber bei dem Bison auf der linken Seite, sieht man ganz gut, dass es sich hierbei nicht um einen massiven „Quasimodo-Buckel“ handelt, sondern dass er verhältnissmäßig schmal ist, und über den Schulter im Questschnitt wie ein stumpfes Dreieck ausläuft.

Bisons

Wenn aber Spinosaurus nun tatsächliche eine Art Büffelrücken hatte, wozu brauchte er ihn dann? Zugegebenerweise habe ich darauf auch noch keine zufriedenstellende Antwort gefunden, aber das waren die Erklärungsversuche für ein Segel auch nicht. Falls Spinosaurus tatsächlich in Sumpfgebieten lebte, und in gebückter Haltung nach großen Fischen jagte, wäre ein solcher Rücken möglicherweise wie eine Art Stütze denkbar. Es wurde auch schon vermutet, dass sie eine Art Fetthöcker stützten, aber das ist wenig wahrscheinlich. Die einzigen lebenden Tiere mit Fetthöckern sind Dromedare und Kamele, wobei bei diesen die Höcker keinerlei Stütze durch die Wirbelsäule haben, während sich bei den buckeltragenden Rinderarten eigentlich keine größeren Fettansammlungen an diesen Stellen befinden. Um Fett zu tragen, benötigt es keiner besonderen Knochen um es zu stützen, bei Muskeln dagegen schon. Auch bei dem Riesenhirsch Megaloceros wurde schon spekuliert seine verlängerten Dornfortsätze an der Schulter hätten einen Fetthöcker getragen, viel wahrscheinlicher ist aber dass die an ihm sitzenden Muskel und Bänder ähnlich wie bei Elchen und anderen Tiere mit schweren Köpfen oder Hälsen als zusätzliche Stütze dienten.

Neben Spinosaurus gab es auch andere ausgestorbene Reptilien welche anatomisch ähnliche verlängerte Dornfortsätze hatten, etwa sein etwas kleinerer Verwandter Suchomimus, bei dem sie allerdings noch deutlich kürzer waren. Auch Ouranosaurus, ein Ornithopode, hatte sehr stark verlängerte Dornfortsätze, die allgemein als Segel gedeutet werden, aber wohl auch eher wie bei Büffeln als Muskelansätze gedient haben, zumal sie wie bei ihnen ihr Zentrum über den Vorderbeinen hatten. Ouranosaurus hatte zudem noch waagrecht verlaufende verknöcherte Sehnen auf den Dornfortsätzen, was allein schon zeigt, dass er kein dünnes Segel gehabt haben kann, sondern einen zumindest einigermaßen dicken Rückenkamm, vergleichbar einem Riesenbison. Daneben gab es auch den relativ kleinen Archosaurier Arizonasaurus, dessen Rückenkamm sein Zentrum ähnlich wie Spinosaurus weiter hinten hatte.

Nach ausgiebiger Betrachtung dieses Themas, insbesondere nach dem Vergleich mit den anatomischen Begebenheiten anderer Tiere, kann ich ehrlich gesagt nicht mehr glauben, dass Spinosaurus und Arten mit vergleichbaren Dornfortsätzen an den Wirbeln tatsächlich häutige Segel besaßen. In der Paläontologie ist leider ziemlich viel auf Mutmaßungen und Spekulationen basierend, weshalb viele ausgestorbene Tiere im Laufe der Zeit ihr Aussehen in Büchern auch stark verändert haben. Vielfach wurden auch Dinge rekonstruiert, ohne wirklich genau nachgeprüft zu haben, ob es überhaupt realistisch ist. Darum sehen wir immer noch in manchen Büchern aufrecht laufende Tyrannosaurier, die sich auf ihrem Schwanz aufzstützen, oder Sauropoden die ihren Hals in Schwanenmanier verkrümmen. Leider ist es manchmal ziemlich schwierig neue Vorstellungen anzunehmen, und alte abzugeben, weshalb sich neue Ideen oft nur sehr langsam einigermaßen etablieren können. Über Jahrzehnte ging man einfach mal davon aus dass die Ausläufer an den Wirbeln des Spinosaurus ein Segel gespannt haben müssen, und debatierte erhitzt über den Zweck eines solchen Segels. Bis sich aber tatsächlich jemand einmal fragte, ob ein solches Tier nun überhaupt zwingend ein Segel gehabt haben muss (oder kann), ist ziemlich viel Zeit vergangen.

Quellen:

Jack Bowman Bailey

Neural spine elongation in dinosaurs; sailbacks or buffalo-backs?

Western Illinois University, Department of Geology, Macomb, IL, United States

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Angebliche Aasfresser Teil 1: Dilophosaurus

Dilophosaurus aus Jurassic Park - fälschlicherweise ohne Kerbe im Oberkiefer

Wenn man sich mit paläontologischer Literatur befaßt, dann fällt auf dass eine ganze Menge ausgestorbener Fleischfresser als Aasfresser abgestempelt werden. Die Argumentation für diese Vermutungen stehen aber oftmals auf äußerst wackeligen, und teilweise sogar diametral verschiedenen Überlegungen. Ich möchte mich hier mit einigen Fällen befassen, und darauf eingehen, auf welchen Überlegungen die Vorstellungen für angeblich Aas-fressendes Verhalten zurückgehen, und natürlich vor allem, was dagegen spricht.

Den Anfang wollte ich mit Dilophosaurus machen, nicht zuletzt deshalb, weil vor kurzem eine sehr interessante Meldung durch die Presse ging, aber dazu später mehr. Dilophosaurus kennen sicher alle die Jurassic Park gesehen haben noch als den kleinen hinterhältigen Raubsaurier, der den verräterischen und nicht minder korpulenten Computerspezialisten Dennis Nedry auf ziemlich unappetitiche Weise von der Leinwand verschwinden läßt. Der Dilophosaurus-Animatronic sah an sich ziemlich gut aus, mal abgesehen davon dass er viel zu klein war, aber die Macher von JP ließen sich es nicht nehmen, ihm noch eine frei erfundene Kragenechsen-artige Halszierde zuzugestehen, die ebensowenig auf Fakten basiert, wie das Spucken von Gift.

Dilophosaurus war für die Zeit in der er lebte ein ziemlich großer Raubsaurier, einer der größten die es damals gab, und erreichte eine Länge von 6m bei einem Gewicht von etwa einer knappen halben Tonne. Er gehörte noch einer ziemlich primitiven Gruppe von Raubsauriern an, was sich darin zeigte dass er an der Hand noch vier, und nicht wie praktisch alle späteren Theropoden drei Finger hatte. Dieser vierte Finger war schon relativ klein und in der Rückbildung bemeßen, genau wie zwei seiner fünf Zehen (ebenfalls ein primitives Merkmal, die moderneren Theropoden hatten alle nur noch vier Zehen). Insgesamt war Dilophosaurus relativ schlank gebaut für einen Raubsaurier seiner Größe, die meisten größeren Theropoden waren deutlich kompakter. Das wohl herausragenste Merkmal dieses Tieres waren die beiden vertikalen, einigermaßen halbkreisförmigen Knochenkämme auf dem Schädel. Ihre genaue Funktion is unbekannt, doch vermutlich spielten sie entweder eine Rolle in der innerartlichen Kommunikation, oder sie waren möglicherweise Rangabzeichen bei den Männchen, ähnlich wie bei vielen Vögeln. Ein weiteres ungewöhnliches Merkmal waren die Kiefer und Zähne. Die Kiefer waren relativ schmal und schwach, und wohl kaum in der Lage besonders kräftig zuzubeißen. Zudem besaß er im vorderen Teil der Schnauze eine seltsame Einkerbung, so dass es beinahe aussah als hätte er mal eins auf die Nase bekommen, woraufhin die Schnauzenspitze schräg nach unten wuchs. Auch die Zähne waren eher ungewöhnlich, da sie ziemlich lang, und dabei relativ dünn waren.

Die Argumentation für eine Aas-fressende Lebensweise beläuft sich nun vor allem auf die drei Eigenheiten, nämlich die Kämme auf dem Kopf, die schwachen, seltsam geformten Kiefer, und die langen dünnen Zähne. Nach der Auffassung mancher Wissenschaftler war Dilophosaurus nicht in der Lage Beutetiere mit seinen Kiefern und Zähnen zu töten, zudem wäre die Gefahr dass bei einer Jagd die dünnen Kämme zu verletzen, viel zu groß. Folglich soll Dilophosaurus also durch die Gegend gestreift, und nach Kadavern gesucht haben.

Aus irgend einem Grund gehen viele Paläontologen scheinbar davon aus, dass in der Wildniss überall Kadaver herumliegen, von denen sich eine beliebig große Anzahl beliebig großer Tiere ernähren kann. Dabei wird zun einen übersehen dass Kadaver zwar in der Natur vorkommen, dass dies aber ein relativ seltenes Ereigniss ist, nicht zuletzt deshalb weil schwache oder kranke Tiere in der Regel schon zu Lebzeiten Raubtieren zum Opfer fallen, und weil eine ganze Reihe opportunistischer kleiner Raubtiere in der Regel als erstes an einem Kadaver ist, und ihnen oft ein nicht geringfügiger Teil des Fleisches zufällt. Könnten große Fleischfresser tatsächlich ausschließlich von in der Gegend herumliegenden Kadavern ernähren, dann könnte man das heute noch sehen. Tatsächlich gibt es unter den Großtieren aber keinen einzigen reinen Aasfresser.

Mal angenommen Dilophosaurus wäre tatsächlich ein Aasfresser gewesen, wäre er dann in der Lage gewesen einen Kadaver überhaupt sinnvoll zu nutzen? Lange dünne Zähne und relativ schwache Kiefer sind alles andere als gut geeignet um von Kadavern zu fressen. Sinnvoll wären bei einer solchen Lebensweise viel eher kräftige Kiefer und kürzere, breitere Zähne, um so Stücke aus größeren Kadavern herauszureißen. Ein dem Dilophosaurus noch einigermaßen vergleichbares heutiges Tier, das in der Lage ist die Körper toter Tiere extrem gut in Stücke zu reißen ist der Komodowaran. Er hat robuste Kiefer, und nach hinten gebogenene, relativ kurze und kompakte Zähne. Unabhängig davon dass Komodowarane sehr gute Jäger sind, ist ihr Schädel und Gebiß darauf ausgerichtet Kadaver in kürzester Zeit zu zerlegen, unabhängig davon ob es Fleisch von einem gefundenen, oder selbst gejagten Tier handelt. Tiere die viel Fleisch von größeren Tieren fressen, haben in der Regel ziemlich ausgeprägte schneidende Anteile in ihrem Gebiss, lange dünne Zähne deuten in der Regel eher auf andere Nahrung hin.

Dilophosaurus war also wohl weder in der Lage für größere Tiere tödliche Bisse auszuteilen, noch war er besonders gut darin Kadaver zu verwerten. Dann kommt noch die Sache mit den Kämmen dazu. Inzwischen hat man noch einige andere mittelgroße Theropoden gefunden, die teilweise ebenso skurrile wie relativ zerbrechliche Kopfschmücke trugen. Dass solche Gebilde bei der Jagd auf große und wehrhafte Tiere sicher nicht gerade von Vorteil war, dürfte wohl sicher sein. Aber daraus gleich zu schließen, dass diese Tiere gar nicht jagten, halte ich für wenig sinnvoll. Wenn man die heutigen Raubtiere betrachtet, so fällt auf dass keineswegs alle auch tatsächlich größere Tiere jagen. Der südamerikanische Mähnenwolf etwa, ernährt sich trotz seiner Größe fast ausschließlich von relativ kleinen Nagetieren, genau wie der Abessinische Fuchs(bzw Wolf). Der Erdwolf begnügt sich trotz seines Hyänenerbes mit Insekten, und viele andere Fleischfresser haben sich ebenfalls nicht in der Rolle eines gefährlichen Großwildjägers festgefahren. Von den Fleischfressern unter den Säugetieren gibt es keine die besondere Ausbildungen haben, die mit den Kämmen von Dilophosaurus vergleichbar wären. Unter den Vögeln gibt es aber eine ganze Reihe teilweise recht großer Arten, die trotz einer jagenden Lebensweise ausgeprägte Auswüchse an Kopf oder Schnabel haben. Ein Beispiel wäre der Sudan-Hornrabe, ein ziemlich großer Vogel, der mit seinem riesigen Schnabel in den Savannen vor allem Reptilien, größere Insekten und auch mal kleinere Säuger fängt. Der seltsame Buckel auf dem Kopf scheint ihn dabei wenig zu stören, genausowenig die die teils enorm großen Schnabelfortsätze der Nashornvögel, welche ebenfalls oft kleinere Tiere fangen.

Bedenkt man dass Dilophosaurus ziemlich schlank und wenig gewesen ist, und obendrein einen abspreizbaren Finger besaß, so erscheint es weitaus logischer zu vermuten dass er sich statt von großen oder gar schon toten Tieren, eher von kleineren Beutetieren ernährte, die er vielleicht mit seinen Klauen greifen, und mit den relativ schwachen Kiefern töten könnte, wobei auch keine Gefahr bestände, dass sein Kopfschmuck Schaden nähme.

Betrachtet man nochmal die Kiefer von Dilophosaurus, so kann man sogar noch einen Schritt weiter gehen. Die seltsame Einkerbung und der nach unten weißende Knick im Oberkiefer kommen nämlich noch bei anderen Tieren vor, nämlich beispielsweise bei Krokodilen oder den Spinosauriden, von denen man aufgrund verschiedener Hinweise davon ausgeht, dass sie eine gewisse Spezialisierung auf Fische entwickelt hatten. Seltsamerweise hatte auch das mit einem großen Rückensegel ausgestattete Reptil Dimetrodon einen ähnlichen Knick im Kiefer, wobei hier fraglich ist, ob hier ein Bezug zu einer Fische-jagender Lebensweise bestand. Diese besondere Form der Schnauze scheint gewisse Vorteile beim Packen von Fischen zu haben, und an dieser Stelle bekommen auch die recht langen dünnen Zähne einen Sinn, denn selbst wenn diese nicht gut zum Zerteilen von Fleisch sind, so eignen sie sich doch ausgezeichnet um einen schleimigen zappelnden Fisch festzuhalten.

Derartige Beutetiere würden auch keine starken Kiefer zur Tötung benötigen, genausowenig wie sie eine Gefahr für verletzungsanfällige Kopfaufbauten darstellen würden. Auch die schlanke Gestalt und dier lange beweglich Hals würden gut zu einem Fischfresser passen, der wie ein riesiger Reiher an Gewässern oder in Sumpfegebieten nach Beute suchte.

Diese Vermutungen hatte ich schon vor relativ langer Zeit, und zugegebenerweise fühlte ich eine gewisse Bestätigung, als vor kurzem ein Verwandter des Dilophosaurus gefunden wurde, der nicht nur die gleiche Größe und das seltsame Gebiss hatte, sondern man konnte anhand von mehr als 3000 fossil erhaltenen Spuren nachweißen, dass diese Tiere häufig in Seen wateten, oftmals bis in Wasser dass ihnen bis zur Brust gereicht haben muss. In jenen Gewässern gab es eine ganze Reihe größerer Fische, die für einen solchen Jäger eine respektable, aber doch noch zu überwältigende Beute dargestellt haben dürften. Dass auch Dilophosaurus ein ähnliches Verhalten zeigte, ist insofern durchaus nicht unwahrscheinlich.

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Von Seeschlangen, Schlangenwalen und Pferdeaalen

Es gibt wohl kein typischeres Klischeebild einer Seeschlange, als das eines Schlangen-oder Drachen-artigen langestreckten Wesens, das sich mit vertikalen Windungen des langen Körpers im Wasser bewegt, wobei zahlreiche Buckel oder sogar gänzlich aus dem Wasser ragende Körperwindungen zu sehen sind. Solche Wesen sollen sowohl in verschiedenen Meeren, als auch in Binnengewässern gesichtet worden sein. Eines der bekanntesten ist das Ogopogo,  welches im Okanagan-See im kanadischen British-Columbia. Vermeintliche Photos und Augenzeugenberichte deuten auf ein Wesen von vielleicht knapp 10m Länge hin, das sich mit horizontalen Windungen im Wasser fortbewegt, wobei neben drei bis fünf relativ eng stehenden Rückenbuckeln der Kopf und manchmal auch die Schwanzspitze aus dem Wasser ragen. Auch einige Nessie-Sichtungen und verschiedene an pferdeköpfige Riesenaale erinnernde Monster aus kleinen Binnnenseen entsprechen diesem Typus.

Das eigentlich seltsame an der Sache ist, dass kein einziges bekanntes Lebewesen, weder lebend noch ausgestorben sich auf solche Weise fortbewegen könnte. Praktisch alle Fische (von Ausnahmen wie verschiedenen Rochen, Kugel-Koffer und Plattfischen mal abgesehen) bewegen sich mit horizontalen Bewegegungen ihres Körpers, aber niemals mit vertikalen, da der Körper von Fischen dieser Bewegung auch nur ziemlich wenig Spielraum läßt. Eine solche Fortbewegung hat auch vor allem am Gewässerboden Vorteile, und ist auch noch in sehr flachen Wasser oder stark strukturierten Lebensräumen möglich. Auch die Amphibien und die Reptilien (auch hier gibt´s natürlich wieder Ausnahmen, etwa Schildkröten) hielten diese Art der Fortbewegung mit setlich ausgreifenden Körperbewegungen bei, und erst einige hochentwickelten Arten aus denen Säuger und Dinosaurier hervorgingen, verloren diese Fortbewegungsweise.

Da sich für Tiere mit senkrecht unter dem Körper liegenden Gliedmaßen ein seitliches Auslenken der Gliedmaßen nicht anbietet, mußte die Wirbelsäule stattdessen an vertikaler Bewegungsfreiheit gewinnen. Als die ersten Säuger dann wieder anfingen sich ihre Nahrung im Wasser zu suchen und sich schließlich zu vollkommen marinen Formen entwickelten, behielten sie diese Errungenschaft bei, und bewegten sich vor allem durch vertikale Bewegungen. Darum ist die Schwanzflosse von Walen und Seekühen auch nicht senkrecht wie bei Fischen, sondern waagrecht.

An dieser Stelle kommen nun die sogenannten Schlangenwale ins Spiel. Unter den primitiven Walen entwickelte sich eine Linie zu riesigen langgestreckten Meeresraubtieren, den Basilosauriern, von denen bislang drei Arten, Basilosaurus isis, Basilosaurus cetoides und Basilosaurus drazindai. Als die ersten Knochen dieser Tiere entdeckt wurden, hielt man sie für die Überreste mariner Reptilien, daher das „-saurus“ im Name. Diese Wale wiesen eine Reihe von Besonderheiten auf, etwa der etwa 1,5m lange Schädel, der im Vergleich zur Gesamtlänge von bis über 20m geradezu winzig wirkte. Das vermeintlich schlangenartige Erscheinungsbild sowie die Fähigkeit sich mit vertikalen Bewegungen fortzubewegen, hat dazu geführt dass diese Tiere als Erklärung für viele Ungeheuersichtungen herangezogen wurden, u.a. im Okanagan-See.

Die Idee scheint auf dem ersten Blick verlockend, krankt aber an mehreren Stellen. Zum einen stellt sich die Frage ob Basilosaurus überhaupt in der Lage gewesen wäre, die typischen Buckel, welche bei Seeschlangen und Monstern in Seen vorkommen sollen, überhaupt erzeugt haben könnte. Einerseits war Basilosaurus wahrscheinlich weitaus weniger schlangenähnlich und weitaus voluminöser, als man früher dachte. Auch war der Schwanz weitaus kürzer als man in älteren Büchern manchmal lesen kann, und machte nur etwas mehr als ein Drittel der Gesamtlänge aus. Genaugenommen war die schlangenartige Gestalt vor allem auf den ziemlich kleinen Kopf zurückzuführen. Auch Glattdelphine und Furchenwale wie Blau-oder Finnwal haben extrem langgestreckte Körper, was aber weit weniger auffällt, da ihre Köpfe im Verhältnis viel größer sind. Die besondere Wirbelsäulenanatomie von Basilosaurus deutet zwar tatsächlich darauf hin, dass er sich auf sehr ungewöhnliche Weise bewegte, und nicht nur der Schwanz, sondern möglicherweise der ganze Körper bei der Bewegung beteiligt war. Aber selbst bei einer sehr großen Bewegungsfreiheit erscheint es praktisch ausgeschlossen, dass sie die extrem nahe beieinander liegenden und sehr zahlreichen Wellen der Buckelseeschlangen erzeugen konnten, zumal die einzelnen Wirbel ungewöhnlich lang waren. Selbst beim besten Willen dürften nicht mehr als zwei Buckel auf einmal möglich gewesen sein.  Inzwischen wurde aufgrund seiner besonderen Wirbel spekuliert, ob er nicht womöglich sogar durch horizontale Bewegungen schwimmen konnte…

Alles in allem halte ich die Argumentation für einen Basilosaurus-ähnlichen Urwal für relativ dürftig. Dass enorme Futterbedürfniss sowie die Tatsache dass solche Tiere häufig an der Oberfläche zu sehen sein müßten, schließt eigentlich aus, dass sich eine Population solcher Tiere über Jahrtausende in einem See halten und verstecken könnte, mal ganz abgesehen davon dass man aus den letzten 37 Millionen Jahren keinen einzigen Basilosaurus-ähnlichen Wal mehr kennt.

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Fleischgelüste bei Huftieren

Eigentlich scheinen die Rollen ja recht klar verteilt in der Natur, es gibt die Raubtiere die Fleisch fressen, und die Pflanzenfresser die Pflanzen fressen. Zugegebenerweise gibt es auch einige Ausnahmen wie den Pandabären der trotz seines Bärenerbes fast rein vegetarisch lebt, und auch einige seiner Verwandten fressen zum größten Teil Pflanzen, und sogar verschiedene Marder und Hunde-artige fressen ab und an pflanzliche Kost. Bei den Raubtieren gibt es zugegebenerweise eine recht weitläufige Palette an unterschiedlichen Fressgewohnheiten, aber die meisten von ihnen sind in ihrer Wahl der Nahrung doch recht konservativ veranlagt und halten sich an tierische Proteine. Aber wie sieht es mit den Huftieren aus? Diese bilden gemeinhin die bevorzugten Beutetiere größerer Raubtiere, und gelten meist als die Pflanzenfresser schlechthin. Von Wildchweinen ist zwar allgemein bekannt dass sie auch beim Wühlen gefundene Engerlinge, Regenwürmer und auch mal aufgebrabene Jungmäuse oder sogar Aas fressen, dass sie aber auch teilweise aktiv auf Jagd gehen und sogar manchmal Fische fangen, ist weniger bekannt. Manche Wildschweine lernen sogar recht geschickt erwachsene Mäuse zu fangen, desweiteren fressen sie auch Eier und am Boden sitzende oder aus dem Netz gefallene Jungvögel, sowie verschiedene Amphibien und Reptilien. Zuweilen kommt es sogar vor dass sie selbst Hasen und angeschossene oder sonstig geschwächte Rehe und Hirsche töten und fressen. Vor einigen Jahren konnte ich in einer Dokumentation einmal eine sehr beeindruckende Szene sehen, in der zwei Wildschweine einen Hasen jagten. Auch einige Verwandte des Wildschweines, etwa die Busch-und Flussschweine nehmen sehr gerne Fleisch in ihren Speiseplan auf, während dies bei Arten wie dem Warzenschwein oder dem Riesenwaldschwein kaum einmal vorkommt.

Den grimmig aussehenden und mit großen raubtierhaften Zähnen ausgestatteten Wildschweinen kann man derartige Vorlieben noch recht gut zutrauen, dass aber auch Nilpferde zuweilen Fleisch fressen, ist weit weniger bekannt. Wahrscheinlich handelt es sich hier eher um Ausnahmen, speziell in Zeiten in denen die Bullen aufgrund großer Rivalitäten nicht genug Zeit finden an Land zu grasen, und darum zusätzliche Kalorien aufnehmen, indem sie bei Gelegenheit auch Aas fressen. Ob sie nur schon tote Tiere fressen, oder unter Umständen auch von ihnen selbst getötete, ist mir nicht bekannt. Vor kurzem habe ich auch ein sehr beeindruckendes Video gesehen, bei dem ein Flußpferd einem großen Nilkrokodil die Beute klaute, und selbst fraß. Da Nilpferde jedoch zuweilen auch gegen andere Arten ein sehr aggressives Verhalten zeigen, und sogar manchmal andere Tier töten, könnte man vermuten dass zumindest manchmal auch von selbst „erjagten“ Tieren gefressen wird. Auch Dromedare sollen manchmal Aas fressen, was auch kaum verwundert, da diese Tiere viel eher als andere in Situationen kommen, in denen es überhaupt keine pflanzliche Nahrung mehr gibt. Schon bizarren mutet es da an, dass Giraffen manchmal Knochen kauen, möglicherweise um zusätzliche Mineralien aufzunehmen, ein Verhalten das bei einer ganzen Reihe von Pflanzenfressern auftaucht, sogar bei Elefanten.

Auch Hirsche geben sich nicht immer allein mit Gras, Rinde und Knospen zufrieden. Neben Fällen von nichtdestruktiven Autokannibalismus, bei dem Kühe von der eigenen Gebärmutter oder Hirsche den eigenen abgestreiften Bast oder abgeworfene Geweihstangen fressen, gibt es auch Fälle, in denen andere Tiere getötet und gefressen werden. Bei Gelegenheit fressen Hirsche Eier bodenbrütender Vögel oder sogar junge Vögel. In manchen Gebieten in denen die Hirsche die von ihnen benötigten Mineralien nicht durch normale Kost decken können, fressen sie zuweilen kleinen Vögeln die Beine ab, um so an zusätzliches Kalk und Phosphor zu kommen. In einigen Gebieten fallen Rentieren sogar bis zu zehn Prozent der Lemmingpopulationen zum Opfer.

Hier sieht man ein paar Rentiere im Schönbrunner Zoo, Lemminge kriegen sie hier aber sicher nicht:

Rentiere

Weitaus vielseitiger ist da das afrikanische Hirschferkel. Diese winzigen, entfernt mit den Hirschen verwandten Wiederkäuer leben in den Dschungeln Afrikas und haben sich auf besondere Weise an ihren Lebensraum angepaßt. Sie fressen nicht nur Aas und Insekten, sondern auch sogar Fische. Bei Gefahr flüchten sich diese Winzlinge oft in Urwaldflüße und Bäche, wo sie sehr gut und lange tauchen können, wobei sie sich auf dem Gewässergrund laufend, geschickt fortbewegen können. Unter Wasser haben sie sich auch eine zusätzliche Nahrungsquelle erschlossen, indem sie ins Wasser gefallene Früchte ausammeln, und auch bei Gelegenheit Fische fangen.

Die kleinen afrikanischen Ducker scheinen von Natur aus in eine Opferrolle geboren zu werden, da sie zahlreichen Raubtieren bis hin zu Riesenschlangen und großen Raubvögeln zum Opfer fallen können. Doch ausgerechnet unter diesen harmlos aussehenden Tierchen, die aussehen als hätten sie es darauf angelegt kommerziell für Streichelzoos gezüchtet zu werden, findet man die größte Jagdlust unter den Huftieren. Dass man im Magen des Blauduckers schon große Mengen an Ameisen gefunden hat, ist an sich schon kurios, wenngleich auch nicht schockierend. Eigentlich sehen diese kleinen Huftiere ja wirklich aus, als könnten sie keiner Fliege etwas zu Leide tun (vielen Dank an Sven Peter für das Photo):

Blauducker

Andere Ducker dagegen machen dagegen auf noch weit größere Tiere Jagd. Reptilien, Vögel und auch kleine Säugetiere werden planmäßig angefallen und gefressen, weshalb sie in Zoos auch nicht mit Vögeln vergesellschaftet werden.

Im Zoo von Zürich konnte das Jagd- und Fressverhalten sehr gut dokumentiert werden, nachdem auffiel, dass im Schwarzrückenducker-Gehege immer wieder Tauben fehlten. Bei einem Test mit einer toten Taube wurde diese vom Ducker sofort gefressen, bei lebenden Vögeln konnte beobachtet werden, dass sie diese witterten, beschlichen und angriffen. Kleine Küken wurden mit einem Biss in Bauch oder Brust getötet, bei größeren Vögeln wurden die Vorderhufe benutzt, um sie zu töten oder zu betäuben. Daraufhin wurden Kopf, Flügel und Beine abgebissen, wobei nur der Kopf gefressen wurde. Aus dem verstümmelten Körper wurden dann die Eingeweide herausgesaugt oder -gekaut, und ganz oder teilweise gefressen.

Dass sich ein solches Verhalten entwickelt hat, hat womöglich mit den geringen Nahrungsressourcen im Dschungel zu tun. Kleine Wiederkäuer sind aufgrund ihrer kurzer Därme auf sehr hochwertige pflanzliche Nahrung wie etwa Früchte angewiesen, die im Urwald nur in geringen Umfang gleichzeitig vorkommen, und oft weit auseinander liegen. Bei Hirschen geht es sicherlich weniger um zusätzliche Kalorien, sondern vor allem dadurch, den enormen Mineralienbedarf für das Wachstum ihrer Geweihe zu decken, bei den gehörnten Duckern dagegen scheint es sich ausschließlich zu einer üblichen Ergänzung des Speisezettels zu handeln. Interessant ist auch die Tatsache dass die Ducker wie alle Wiederkäuer keine oberen Schneidezähne besitzen, und auch ihre sonstige Bezahnung in keinster Weise auf solche carnophilen Neigungen hindeutet. Beutetiere wie etwa Vögel müssen sie daher ausschließlich mit ihren Backenzähnen zerteilen. Es wäre sehr interessant zu wissen, ob sich aus diesen Tieren bei entsprechenden Umweltbedingungen über die Jahrmillionen echte Raubtiere entwickeln könnte. Vielleicht wird das mal Thema eines Eintrages über spekulative Zoologie sein.

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Das Problem der fehlenden Weichgewebeerhaltung

Wenn man sich die heutige Tierwelt mal genauer ansieht, so fällt auf dass viele Tiere auffällige Hautanhängsel, Mähnen, Quasten oder Federn haben, oder dass teilweise auch große Teile des Körpers aus reinem Muskel-, Binde-, oder Fettgewebe bestanden. Bei vielen ausgestorbenen Arten wird das mit Sicherheit nicht anders gewesen sein, allerdings bleiben bei den ohnehin in der Regel nur unvollständigen bis fragmentarischen Knochenresten keine Spuren mehr davon übrig, mal abgesehen von ein paar extrem gut erhaltenen Fossilien, etwa die aus der Grube Messel, bei denen man teilweise noch Feder-und Haarabdrücke sehen kann. Im Endeffekt läuft es darauf hinaus dass viele ausgestorbene Tiere noch viel bunter, skurriler, fremdartiger und fantastischer, als wir uns das jemals vorstellen können. Man denke hier nur an die erst seit wenigen bekannte Tatsache, dass viele Raubsaurier Federn besaßen, und vollkommen anders aussahen, als Generationen von Paläontologen dachten.

Federn sind ohnehin ein besonderer Fall, da sie in ganz massiven Maße das Aussehen ihres Trägers beeinflussen können, fossil aber praktisch nie erhalten bleiben. Wären von Paradiesvögeln nur die Knochen bekannt, dann würde man sie wahrscheinlich einfach als relativ triste kleine bis mittelgroße Rabenvögel rekonstruieren. Überhaupt können durch bloße Unterschiede in der Ausprägung und Farbe von Federn, Fell und Haut ganz enorme Unterschiede im Aussehen eines Tieres bewirken, ohne dass man aus den Knochen darauf Rückschlüsse ziehen könnte. Sattelstorch und Marabu zum Beispiel sind beides ziemlich hochgewachsene und großschnäbelige Storchenvögel, und sehen sich in ihrer Gestalt an sich ziemlich ähnlich, und sicherlich haben sie, da sie ja auch relativ nahe verwandt sind, nur relativ wenige Unterschiede in ihrer Skelett-Anatomie. Da obendrein auch noch beide oft die gleichen Lebensräume bewohnen, käme man beim bloßen Studium ihrer Knochen kaum darauf dass der eine ein äußerst dekorativer und für einen Storch ungewöhnlich farbenfroher Vogel ist, während der andere ein (wenn man subjektive menschliche Maßstäbe ansetzt) ungewöhnlich häßlicher und schlicht gefärbter Vogel ist, der einen riesigen mit Bindegewebe gefüllten kropfartigen Halsauswuchs und wie von einer Krankheit entstellte Haut an Kopf und Hals hat.

Marabus

Auch von den bei Säugern ausgebildeten Weichteilfortsätzen und Fell-Modifikationen werden wir bei ausgestorbenen Arten kaum jemals Klarheit über ihr Aussehen bekommen. Einem ausgestorbenen Creodonten kann man an den Knochen nicht ansehen ob er ein kurzes Fell wie ein Tiger, oder einen langen wuscheligen Pelz wie der Kragenbär hatte. Bei einer Rekonstruktion, sei es nun eine Zeichnung oder ein Modell, macht aber auch die Haarlänge einen ganz entscheidenden Punkt beim Aussehen eines Tieres aus. Von auffälligen arteigenen Ausbildungen des Haarkleides wie es etwa bei vielen Primaten ausgeprägt ist, werden wir erst recht nichts erfahren, genauso wenig wie von der Schwanzflossenform archaischer Wale oder dem auf groteske Weise aufblaßbaren Nasensegel der Klappmütze.

Gerade auch bei den fossilen Walen gibt es in mancher Hinsicht sehr viel Unsicherheiten. Etwa das schon angesprochene Problem der Schwanzflossenform. Bei jüngeren Arten kann man sich sicher ohne allzu viel falsch zu machen, an den lebenden Arten orientieren, aber wie bei den frühesten Arten die Zwischenformen zwischen einem abgeplatteten Schwanz und einer echter Fluke reichten, aussahen, und wann sie genau auftraten, ist beinahe nur spekulativ. Das selbige gilt auch für die Rückenflossen, hier kann man beinahe keine Angaben darüber machen, ob überhaupt eine vorhanden war, oder wie sie aussah. Man macht es sich in der Regel nicht klar, aber einige der heutigen Wale gehören zu den seltsamsten und spektakulärsten Säugetieren, die es jemals gab. Glücklicherweise gibt es sie noch heute, denn viele ihrer Eigenheiten könnte man den Knochen kaum ablesen. Würde man wissen dass die Furchenwale dehnbare Kehlfurchen haben, dass die Glattwale monströs verlängerte Unterlippen besitzen, oder dass auf der Haut des Nordkapers riesige Seepockenkolonien und auf der des Buckelwales seltsame Hautknubbel wachsen? Auch der Pottwal, eines der hochentwickelsten Säugetiere überhaupt, hat eine ganze Reihe von anatomischen Besonderheiten, auf die man durch bloße Analyse nicht kommten würde.

Das waren jetzt mal nur einige Gedanken über eine ziemlich frustrierende Seite der Paläontologie. Man kann zwar so manches bei entsprechend gut erhaltenen Fossilien rekonstruieren, aber viele wirklich fantastische Dinge werden für immer verborgen bleiben.

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Ausgerottete und beinahe ausgestorbene Tiere Deutschlands

Heutzutage ist Deutschland extrem arm an größeren Säugetierarten, was aber keineswegs immer so war. Ich wollte hier nur einen kurzen Beitrag über Tiere schreiben, die einst einmal bei uns gelebt haben, und inzwischen beinahe oder vollständig ausgestorben sind. Die einzigen echten Großtiere die man regelmäßig antrifft, sind Wildschweine, Rothirsche und Rehe. Zwar gibt es auch vielerorts Damhirsche, teilweise sogar Sikahirsche und andere asiatische Arten, aber diese wurden alle eingeführt, und sind nicht heimisch.

Unter den Großsäugern hat Europa einen großen Teil schon gegen Ende der Eiszeit verloren, aber dennoch gab es auch hier noch einige ziemlich imposante Wildtiere. Allen voran der nur haarscharf dem Aussterben entronnene Wisent und der als Wildform gänzlich ausgerottete Auerochse.

Hier ein Bild eines Auerochsen-Skelettes aus dem Nationalmuseum von Kopenhagen, welches sogar noch Spuren von menschlichen Waffen zeigt:

Auerochsen-Skelett Kopenhagen

 Was viele Leute nicht wissen, ist dass es in Deutschland auch früher Elche gegeben hat. Schon Julius Cäsar berichtete von ihnen, und dass sie von den Germanen gejagt wurden. Auch im Nibelungenlied wird erwähnt dass Sigurd auf der Jagd neben allerlei anderem Wild einen Elch erlegte, der dort Shelk genannt wird. Manche Ortschaften und Städte tragen sogar heute noch in ihren Namen den Hinweis darauf, dass es bei uns auch Elche gab, etwa Ellwangen oder Elchingen. Im äußersten Osten Deutschlands verschwanden die letzten Elchbestände sogar erst gegen Anfang des 20. Jahrhunderts, und heutzutage kommen nur ganz selten mal noch eingewanderte Elche, etwa aus Polen.

Auch Wildpferde gab es früher bein uns, nämlich den inzwischen ausgerotteten Tarpan, der seit jeher wegen seines Fleisches und wegen gewissen Ernteschäden seit frühester Zeit stark bejagt wurde.

Unter den Raubtieren sind natürlich Wolf und Bär als die eindruchsvollsten Arten hervorzuheben, aber auch Luchse, Wildkatzen, Fischotter und Nerze waren einst weit verbreitet, und vielerorts normalerweise ein normaler Bestandteil unserer Fauna. Auch der Biber ist inzwischen ziemlich rar, und wäre teilweise beinahe gänzlich ausgerottet worden.

Auch die Vogelfauna unseres Landes hat einige sehr imposante Arten beinahe gänzlich verloren. Große Greifvögel wie Stein-und Seeadler, aber auch Fischadler, waren nach Jahrhunderten des Nachstellens beinahe ausgerottet, und brüten selbst nach Jahrzehnten des Schutzes immer noch nur in vergleichsweise geringen Zahlen. Neben den normalen Raubvögeln gab es auch Geier bei uns, sowohl die Gänsegeier, als auch die riesigen Mönchs-und Bartgeier. Infolge von Ausrottungskampangnen waren sie zwischenzeitlich gänzlich verschwunden, und kommen nur äußerst zögerlich wieder zu uns, wie jüngst einige Geier in Süddeutschland.

Neben Raubvögeln gab es auch noch einige andere, einst weitverbreitete Arten wie Kraniche, Trappen oder Auerhühner.

Eine Art, von der nur wenige wissen, dass es sie überhaupt in Deutschland gibt, ist die Europäische Sumpfschildkröte, die vor allem durch Verluste ihrer ursprünglichen Lebensräume aus vielen Gegenden verschwand. Ich hatte sogar das Glück vor einigen Jahren einmal eine in einem Wald-Teich zu sehen. Von den Fischen sind durch Gewässer-Verschmutzung und Verbau viele Arten bei uns beinahe ausgestorben, manche sogar gänzlich verschwunden. Lachse kommen seit einigen Jahren in geringen Stückzahlen teilweise wieder die Flüsse hinaufgeschwommen, einst waren sie aber weit verbreitet, und beinahe shcon ein Arme-Leute-Essen. Europäische Störe und Hausen kommen durch Überfischung und Stauwehre bei uns eigentlich gar nicht mehr vor, früher gab es sie dagegen in solchen Massen, dass sie in industriellen Maße befischt werden konnten.

Inhaltlich gibt dieser Eintrag natürlich nicht viel her, und ich wollte auch gar nicht in die Details gehen, sondern vor allem zeigen, dass es auch bei uns theoretisch noch eine sehr eindrucksvolle Fauna teils sehr großer einheimscher Wildtiere geben könnte.

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Verkehrte Welt bei Flusspferd-jagenden Löwen

In Tierdokumentationen und den meisten Büchern wird über Löwen in der Regel ein ziemlich stereotypisches Verhalten propagiert, nämlich dass er in Rudeln lebt, die vor allem aus Weibchen und ihren Jungen bestehen, und von ein oder zwei männlichen „Paschas“ dominiert wird, welche nicht selbst jagen, sondern von den Tieren fressen, die die Weibchen erlegt haben.  In aller Regel stimmt das auch mehr oder weniger, aber Löwen sind weitaus anpassungsfähiger in Bezug auf ihre Lebensweise, sowohl in Hinsicht auf ihre Jagdstrategien und bevorzugten Beutetiere, als auch auf ihr Sozialverhalten, als allgemein bekannt ist. In der Regel besteht die Nahrung der meisten Löwenrudel aus mittelgroßen und relativ einfach zu tötenden Huftieren wie Gnus oder Zebras. Es gibt aber auch eine ganze Reihe von Rudeln, die sich auf deutlich wehrhaftere und größere Beutetiere spezialisiert haben. In manchen Gegenden werden etwa bevorzugt Kaffernbüffel gejagt, in anderen Giraffen-Bullen. Im Tsavuti haben sich sogar Löwenrudel darauf spezialisiert ausgewachsene (!) Elefanten zu töten. Oft geht eine solche Adaption an solche Beutetiere mit einer Veränderung der Sozialstruktur einher.

Besonders interessant sind hier bestimmte Löwenrudel im Virunga-Nationalpark in Zaire. In diesem Gebiet gibt es weder Zebras noch Gnus, und die kleineren solitär lebenden Gazellenarten sind keine lohnende Beutetiere für die Löwen. Dafür kommen dort große Mengen an Kaffernbüffeln und Flusspferden vor. Um dort also überleben zu können, mußten sich die Löwen den dortigen Gegebenheiten anpassen. Einige Rudel spezialisierten sich auf die Kaffernbüffel, während andere bevorzugt Flusspferde jagen. Der bekannte Naturbuchautor Vitus Dröscher schilder in seinem Buch „Die Welt in der die Tiere leben“ eindrucksvoll eine selbst beobachtete Flusspferd-Jagd im Virunga. Schon das Rudel an sich war sehr ungewöhnlich, sowohl in seiner Zusammensetzung, als auch in seinem Verhalten. Es bestand aus fünf ziemlich großen Männchen, und einem einzelnen Weibchen, dass sich allerdings bei der Jagd nicht beteiligte. Dass diese Löwen sich überhaupt an ausgewachsene Flusspferde herantrauen, ist schon beachtlich, denn diese Tiere gehören zu den größten Landtieren überhaupt, und erreichen oft Gewichte von mehr als zwei Tonnen. Zudem sind sie alles andere als ungefährlich, und jedes Jahr fallen wütenden Flusspferden eine große Anzahl von Menschen zum Opfer, und auch gegen andere Tiere zeigen sie zuweilen sehr aggressives Verhalten. Auch gegen Räuber wie etwa Krokodile wissen sie sich in der Regel mit ihren riesigen Hauern sehr gut zur Wehr zu setzen. Nur an Land sind sie für die Löwen überhaupt angreifbar. Normalerweise verhalten sich Löwen bei der Jagd extrem ruhig um ihre Beute nicht zu verjagen, diese Löwen brüllten dagegen in Angesicht iher Beute laut herum, möglicherweise um das Flusspferd einzuschüchtern. Der Angriff erfolgte zuerst durch zwei Löwen von hinten, die sich in die Hinterbeine ihres Opfers verbissen, was sie dreimal wiederholten, bis das Flußpferd seine Hinterbeine nicht mehr aufrecht halten konnte, und sein Hinterteil herabsackte. Daraufhin sprangen es die drei anderen Löwen-männchen mit der geballten Masse von über einer halben Tonne von der Seite her an und warfen es um, woraufhin es mit einem Kehlbiss getötet wurde.

Flusspferde im Schönbrunner Zoo

Eine solche Jagd ist natürlich weitaus gefährlicher als kleinere Zebras oder Gnus zu jagen, auf der anderen Hand sichert hier eine einzige erfolgreiche Jagd auf mehrere Tage hinaus eine ausreichende Fleischversorgung. Da männliche Löwen deutlich größer und stärker sind als Löwinnen, konnte sich hier eine auf relativ brachialer Gewalt basierende Jagdstrategie auf verhältnissmäßig riesige und gefährliche Beutetiere entwickeln, die für ein normales aus weiblichen Löwen bestehendes Rudel wahrscheinlich kaum bezwingbar wäre. Die Flusspferd-Killer müssen weder besonders schnell noch besonders leise sein, wichtig ist vor allem dass sie genug Kraft besitzen, um ihre langsame Beute auf den Boden bringen zu können, wo sie dann getötet werden kann. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass solches Verhalten die Selektion besonders großer und starker, aber sozial kompetenter Löwen fördert. Andererseits führt dies zu einer massiven Umverteilung des Geschlechterverhältnisses, da auf diese Männchen-starken Rudel nur ein oder zwei Weibchen kommen, deren Zweck lediglich im Austragen und Aufziehen der Jungen liegt.

Das ist nur eine von mehreren ungewöhnlichen Lebensweisen bei Löwen, und zeigt auch gut wie Tiere in der Lage sind, ihr Verhalten den gegebenen Umständen entsprechend anzupassen, und dass oftmals propagiertes stereotypes Verhalten in der Natur ganz anders aussehen kann.

Irgendwann wollte ich auch mal über die Elefanten-jagenden Tsavuti-Löwen und über einige skurrile Entwicklungen bei der Jagd auf Kaffernbüffel schreiben.

Quelle: Vitus. B. Dröscher „Die Welt in der die Tiere leben – Meine Expeditionen auf sechs Kontinenten“ Rasch und Röhring-Verlag 1991 

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Rektale Unterwasseratmung bei Schildkröten

Einer der größten Schritte in der Evolution des Lebens war die Kolonisierung des Festlandes vom Wasser aus. Im Laufe der Erdgeschichte haben aber eine ganze Reihe von Lebensformen wieder amphibische oder sogar vollaquatische Lebensweisen entwickelt. Die Gründe dafür dürften verschieden sein, etwa die Vermeidung von Konkurenten oder Feinden, in vielen Fällen aber sicher einfach die Möglichkeit reiche Nahrungsrescource nützen zu können. Wenn man einmal den Blick auf die Wirbeltiere beschränkt, und dabei die Amphibien außen vor läßt, dann verwundert es womöglich etwas warum von allen wieder ins Wasser zurückgekehrten Arten keine Kiemen entwickelt hat, und alle noch zum Atmen an die Oberfläche müssen, egal ob es sich dabei um Krokodile, Wale oder Robben handelt. Warum haben sich bei diesen Tieren also keine Kiemen entwickelt? Ein Grund dürften wohl fehlende anatomische Voraussetzungen sein, die die Entwicklung von Kiemen begünstigen würden, und dass die allermeisten dieser Arten ja auch allem Anschein nach recht gut ohne derartige Anpassungen auskommen können, indem sie in mehr oder weniger großen Abständen einfach Luft holen. Das ist kein Problem, schließlich geht das ja (abgesehen von Unterwasserhöhlen) auch überall, wohingegen an Land kommende Wassertiere keineswegs immer zwischendurch ins Wasser springen können, es sei denn sie halten sich in einem lokal sehr begrenzten Lebensraum auf, wie etwa die Schlammspringer. Ein Wasserlebewesen dass dauerhaft an Land leben will, muß also in der Lage sein, den Sauerstoffbedarf vollständig durch atmosphärische Luft zu decken. Das geht entweder durch Lungen, oder bei sehr kleinen Tieren wie etwa den Lungenlosen Salamandern unter Umständen auch vollständig durch Hautatmung.

Ein Hauptgrund warum echte Kiemen nie von ins Wasser zurückgekehrten Wirbeltieren entwickelt wurden, dürfte auch in dem geringen Sauerstoffanteil des Wassers liegen. Wasser hat nur etwa ein zwanzigstel des Sauerstoffanteils von Luft, und unter Umständen sogar noch weitaus weniger. Insbesondere sehr aktive warmblütige Arten mit einem hohen Sauerstoffbedarf, etwa Wale oder Robben, wären möglicherweise gar nicht in der Lage allein durch Kiemenatmung immer genügend Sauerstoff aufzunehmen, zumal wenn schon ein einziger tiefer Atemzug an der Oberfläche wieder eine große Menge Sauerstoff liefern kann. Der hohe Sauerstoffanteil der Luft hat wahrscheinlich auch dazu geführt, dass viele Fische unabhängig voneinander aus teilweise unterschiedlichen Strukturen Organe entwickelt haben, mit denen sie Sauerstoff aus der Luft aufnehmen können, was insbesondere in von Natur aus sauerstoffarmen Gewässern überlebenswichtig sein kann. Solche Anpassungen findet man unter Welsen, Knochenzünglern, Labyrinth-Fischen und vielen anderen.

Unter den im Wasser lebenden höheren Tetrapoden (also Vierfüßern) konnten nur einige Angehörige der Reptilien mit ihrem in der Regel niedrigen Stoffwechsel und geringen Sauerstoffverbrauch zusätzlichen Sauerstoff aus dem Wasser aufnehmen. Ich habe schon mal gehört dass Seeschlangen in der Lage sind zusätzlich Sauerstoff über Hautatmung aufzunehmen, um länger tauchen zu können, genaueres weiß ich da aber nicht. Schon weitaus besser ist da die Hautatmung der Weichschildkröten bekannt. Diese teils äußerst seltsamen und manchmal sogar völlig unreptilisch aussehenden Tiere haben einen stark zurückgebildeten Panzer, der komplett von weicher Haut überwachsen ist. Mit ihrer stark durchbluteten und zottenartig vergrößerten Oberfläche ihrer Rachenschleimhaut können sie zusätzlichen Sauerstoff unter Wasser aufnehmen, und so sehr lange unter Wasser bleiben, ohne Luft holen zu müssen. Zusätzlich können sie noch über die Haut eine relativ große Menge Sauerstoff aufnehmen. Dass sich bei diesen Tieren so etwas entwickeln konnte, hängt sicherlich mit ihrem langsamen Metabolismus, und der Lebensweise am Gewässergrund zusammen, bei der ständiges Luftholen an der Oberfläche sehr störend ist.

Die aber wohl bemerkenswerteste Unterwasseratmung die sich bei manchen Schildkröten entwickelt hat, ist die Sauerstoffaufnahme durch die Kloake. Durch den Anus zu atmen hört sich für uns Menschen auf den ersten Blick natürlich alles andere als delikat an, für diese Schildkröten dürfte es nicht viel anders sein als ganz normales Atmen. Bei Reptilien werden sowohl Kot und Urin, als auch die Geschlechtsprodukte alle aus der gleichen Körperöffnung, der Kloake abgegeben. Manche Schildkröten beitzen paarige Aussackungen in ihrer Kloake, aber nur bei wenigen kann über diese auch tatsächlich Sauerstoff aufgenommen werden. Der bei weitem extremste Fall von Kloakenatmung ist die kleine Fitzroy-Schildkröte Rheodytes leukops aus Australien, welche erst 1973 entdeckt wurde. Diese Schildkröten leben im Wasser niedriger Stromschnellen, das extrem sauerstoffreich ist. Ihre Kloake hat einen Durchmesser von etwa 30mm und bleibt ständig offen, sogar wenn man die Tiere aus dem Wasser nimmt. Man kann dann sogar regelrecht in die riesigen Kloakensäcke hineinschauen. Diese erreichen eine Länge von über 10cm, was verhältnissmäßig enorm ist, wenn man bedenkt dass die Panzerlänge nur 26 cm beträgt. Ihre Oberfläche ist von stark durchbluteten Gefäßen bedeckt, so dass ein Austausch von Sauerstoff stattfinden kann. Zudem sind sie in der Lage diese Kloakensäcke zu kontrahieren und wieder Wasser anzusaugen, was sie in Frequenzen von 15-60 mal pro Minute machen. Ich hatte einmal die Gelegenheit in einer Dokumentation zu sehen wie eine solche Schildkröte unter Wasser atmet, indem sie ihre Kloakensäcke rythmisch kontrahieren läßt, ganz ähnlich wie eine Lunge. Ich muß gestehen, es sah ziemlich obszön aus. Nichtsdestotrotz sind diese komplexen Unterwasserlungen, mit denen die Tiere bis zu 68% ihres Sauerstoffbedarfs decken, und so sehr lange unter Wasser bleiben können, eine wirklich bestaunenswerte Entdeckung.

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Die Evolution des Narwals

Ein meinr Ansicht nach besonders interessanter Fall spekulativer Paläontologie ist die Evolution des Narwals Monodon monoceros. Bei heutigen Narwalen bestitzen die Männchen einen massiv vergrößerten und an der Oberfläche spiralig gewundenen linken mittleren Schneidezahn, der außerhalb des Mauls aus die Haut bricht. Die frühesten Vorfahren dieser Wale haben wahrscheinlich so ähnlich ausgesehen wie die mit ihnen verwandten Belugas, aber wie die ganzen Vorfahren ausgesehen haben, die zu diesem oftmals Einhorn des Meeres genannten Wesens führten, ist durch keinerlei fossilen Funde belegt. Hier stellen sich mehrere Fragen, etwa wann die Schneidezähne anfingen waagrecht statt senkrecht zu stehen, wann sie nicht mehr aus dem Zahnfleisch, sondern außerhalb des Maules herauswuchsen, seit wann sie nur noch auf einer Seite einen großen Zahn ausbilden, oder wann sich die Spiralwindung entwickelt hat. 

Hier sieht man den Schädel eines Narwales in der Seitenansicht:

Narwal-Schädel1

Man kann gut erkennen, dass die Kiefer außer dem linken ersten oberen Schneidezahn (sowie dem im Kiefer verborgenen rechten ersten oberen Schneidezahn) vollständig zahnlos ist.

In der Aufsicht wird die durch den Zahn verursachte Assymetrie des Kieferknochens noch deutlicher:

Narwal-Schädel2

 Die Vorfahren der Narwale müssen zweifellos teilweise ziemlich eigentümlich ausgesehen haben, es gibt sogar gewisse Hinweise darauf, dass anfangs nicht nur die oberen Schneidezähne etwas verlängert waren, sondern auch die unteren…

Der Vergleich mit dem Schädel des Belugas, welcher dem der frühesten Narwalvorfahren sehr ähnlich sein dürfte,  zeigt gut welche enormen Modifikationen des Schädels und der Zähne diese Tiere in ihrer Evolutionsgeschichte durchgemacht haben:

Beluga-Schädel

Der evolutionäre Prozess der von einem Tier mit einem Schädel ähnlich dem Beluga zu den modernen Narwalen geführt hat, kann nicht von jetzt auf gleich, und auch nicht vollkommen geradlinig stattgefunden haben. Die dazwischen gelegenen Zwischenstufen müssen teilweise äußerst seltsam ausgesehen haben.

 Auch wenn man bisher keine Knochen dieser Protonarwale gefunden hat, so kann man sich doch einigermaßen ausmalen wie zumindest einige ihrer Ahnen ausgesehen haben müssen. Da bei heutigen Narwalen normalerweise nur die Männchen einen Stoßzahn haben, und auch viele andere Wale teilweise sehr seltsam ausgebildete Zähne besitzen, die ausschließlich zur Austragung innerartlicher Rivalitäten dienen, kann man davon ausgehen, dass die allerfrühesten Narwale ihre leicht verlängerten und schräg aus dem Maul ragenden Schneidezähne bei Rivalenkämpfen benutzt haben könnten, ähnlich wie das die Männchen vieler Schnabelwale machen, deren Körper oft stark von Narben bedeckt ist, welche von den Zähnen anderer Bullen stammen. Spätere Formen hatten wohl schon recht gut entwickelte doppelte Schneidezähne, die aber vielleicht immer noch aus dem Maul heraus ragten. Interessanterweise kennt man einige primitive langschnäuzige, sogenannte haizähnige Wale (die Squalodontiden), welche neben ihren gesägten Zähnen im hinteren Kieferbereich auch senkrecht nach vorne stehende Schneidezähne an der Schnauzenspitze besaßen. Möglicherweise entwickelte sich dieses Merkmal bei ihnen aus ähnlichen Gründen wie bei den Vorfahren der Narwale. Ohne entsprechende Fossilien läßt sich hier leider sehr schwer sagen, wann die Zähne der Protonarwale außerhalb des Maules heraus wuchsen. Bei allen große Zähne tragenden Walen wachsen die Zähne noch aus dem Zahnfleisch, und das vorzugsweise im Unterkiefer, der Narwal ist hier die einzige Ausnahme. Heutige Tiere bei denen die Zähne auch außerhalb des Maules herauswachsen wären etwa die skurilen asiatischen Hirscheber oder Babirussas, bei denen die Eckzähne der Eber senkrecht aus oder Schnauzenoberseite herauswachsen, und einen Bogen nach hinten bilden. Vor einiger Zeit modellierte ich auch ein Modell eines solchen Protonarwales, oder Furcadon (nach dem Wort für eine zweizinkige Gabel) wie ich ihn inoffiziell genannt habe, das ein frühes mögliches Entwicklungsstadium aus der Ahnenreihe der Narwale zeigt. Das Modell besteht aus Fimo und wurde mit Wasserfarben bemalt, und anschließend lackiert:

 protonarwal-seitlich.jpg

 Der Körper bildet eine Art Zwischenform zwischen Narwal und Beluga, wobei mir im Nachhinein leider aufgefallen ist, dass der Kopf proportional zu groß geworden ist.

Protonarwal Unterseite

 Man sieht gut dass die beiden kurzen Stoßzähne noch nicht außerhalb des Maules durch die Haut stoßen, sondern noch aus dem Zahnfleisch ragen. Auch eine Drehung ist noch nicht vorhanden. Was man auf dem bemalten und lackierten Modell leider nicht mehr so gut sieht, sind die zahlreichen parallel verlaufenden Narben, die ich noch aufmodelliert habe, ähnlich wie bei vielen Schnabelwalen, die sich auch mit ihren Zähnen gegenseitig solche Verletzungen zufügen.

Nicht minder interessant ist hier auch die Evolution und die spekulativen Zwischenformen der bizarren „Walroßwale“ Odobenocetops peruvianus und Odobenocetops leptodon, welche entfernte Verwandte von Narwal und Beluga waren, vielleicht werde ich mich auch mal denen widmen. Bis dahin werden aber noch weitere Beiträge folgen.

Anmerkung: Die Bilder der Schädel von Narwal und Beluga stammen aus der Sammlung des Zoologischen Institutes in Tübingen.

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