Das Problem der fehlenden Weichgewebeerhaltung

Wenn man sich die heutige Tierwelt mal genauer ansieht, so fällt auf dass viele Tiere auffällige Hautanhängsel, Mähnen, Quasten oder Federn haben, oder dass teilweise auch große Teile des Körpers aus reinem Muskel-, Binde-, oder Fettgewebe bestanden. Bei vielen ausgestorbenen Arten wird das mit Sicherheit nicht anders gewesen sein, allerdings bleiben bei den ohnehin in der Regel nur unvollständigen bis fragmentarischen Knochenresten keine Spuren mehr davon übrig, mal abgesehen von ein paar extrem gut erhaltenen Fossilien, etwa die aus der Grube Messel, bei denen man teilweise noch Feder-und Haarabdrücke sehen kann. Im Endeffekt läuft es darauf hinaus dass viele ausgestorbene Tiere noch viel bunter, skurriler, fremdartiger und fantastischer, als wir uns das jemals vorstellen können. Man denke hier nur an die erst seit wenigen bekannte Tatsache, dass viele Raubsaurier Federn besaßen, und vollkommen anders aussahen, als Generationen von Paläontologen dachten.

Federn sind ohnehin ein besonderer Fall, da sie in ganz massiven Maße das Aussehen ihres Trägers beeinflussen können, fossil aber praktisch nie erhalten bleiben. Wären von Paradiesvögeln nur die Knochen bekannt, dann würde man sie wahrscheinlich einfach als relativ triste kleine bis mittelgroße Rabenvögel rekonstruieren. Überhaupt können durch bloße Unterschiede in der Ausprägung und Farbe von Federn, Fell und Haut ganz enorme Unterschiede im Aussehen eines Tieres bewirken, ohne dass man aus den Knochen darauf Rückschlüsse ziehen könnte. Sattelstorch und Marabu zum Beispiel sind beides ziemlich hochgewachsene und großschnäbelige Storchenvögel, und sehen sich in ihrer Gestalt an sich ziemlich ähnlich, und sicherlich haben sie, da sie ja auch relativ nahe verwandt sind, nur relativ wenige Unterschiede in ihrer Skelett-Anatomie. Da obendrein auch noch beide oft die gleichen Lebensräume bewohnen, käme man beim bloßen Studium ihrer Knochen kaum darauf dass der eine ein äußerst dekorativer und für einen Storch ungewöhnlich farbenfroher Vogel ist, während der andere ein (wenn man subjektive menschliche Maßstäbe ansetzt) ungewöhnlich häßlicher und schlicht gefärbter Vogel ist, der einen riesigen mit Bindegewebe gefüllten kropfartigen Halsauswuchs und wie von einer Krankheit entstellte Haut an Kopf und Hals hat.

Marabus

Auch von den bei Säugern ausgebildeten Weichteilfortsätzen und Fell-Modifikationen werden wir bei ausgestorbenen Arten kaum jemals Klarheit über ihr Aussehen bekommen. Einem ausgestorbenen Creodonten kann man an den Knochen nicht ansehen ob er ein kurzes Fell wie ein Tiger, oder einen langen wuscheligen Pelz wie der Kragenbär hatte. Bei einer Rekonstruktion, sei es nun eine Zeichnung oder ein Modell, macht aber auch die Haarlänge einen ganz entscheidenden Punkt beim Aussehen eines Tieres aus. Von auffälligen arteigenen Ausbildungen des Haarkleides wie es etwa bei vielen Primaten ausgeprägt ist, werden wir erst recht nichts erfahren, genauso wenig wie von der Schwanzflossenform archaischer Wale oder dem auf groteske Weise aufblaßbaren Nasensegel der Klappmütze.

Gerade auch bei den fossilen Walen gibt es in mancher Hinsicht sehr viel Unsicherheiten. Etwa das schon angesprochene Problem der Schwanzflossenform. Bei jüngeren Arten kann man sich sicher ohne allzu viel falsch zu machen, an den lebenden Arten orientieren, aber wie bei den frühesten Arten die Zwischenformen zwischen einem abgeplatteten Schwanz und einer echter Fluke reichten, aussahen, und wann sie genau auftraten, ist beinahe nur spekulativ. Das selbige gilt auch für die Rückenflossen, hier kann man beinahe keine Angaben darüber machen, ob überhaupt eine vorhanden war, oder wie sie aussah. Man macht es sich in der Regel nicht klar, aber einige der heutigen Wale gehören zu den seltsamsten und spektakulärsten Säugetieren, die es jemals gab. Glücklicherweise gibt es sie noch heute, denn viele ihrer Eigenheiten könnte man den Knochen kaum ablesen. Würde man wissen dass die Furchenwale dehnbare Kehlfurchen haben, dass die Glattwale monströs verlängerte Unterlippen besitzen, oder dass auf der Haut des Nordkapers riesige Seepockenkolonien und auf der des Buckelwales seltsame Hautknubbel wachsen? Auch der Pottwal, eines der hochentwickelsten Säugetiere überhaupt, hat eine ganze Reihe von anatomischen Besonderheiten, auf die man durch bloße Analyse nicht kommten würde.

Das waren jetzt mal nur einige Gedanken über eine ziemlich frustrierende Seite der Paläontologie. Man kann zwar so manches bei entsprechend gut erhaltenen Fossilien rekonstruieren, aber viele wirklich fantastische Dinge werden für immer verborgen bleiben.

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