Zoologische Kuriositäten findet man bei weitem nicht nur in Naturkundemuseen, sondern manchmal auch an Orten, an denen man nur bedingt damit rechnet, etwas wirklich Interessantes zu finden. So war es auch bei diesem Walunterkiefer, der in der Ozeanien-Ausstellung des Völkerkundemuseums in Berlin zu sehen ist. Das Museum ist wirklich hoch interessant, und absolut zu empfehlen. Ich habe dort auch noch einige andere Dinge gesehen, über die ich in nächster Zeit noch bloggen wollte. Neben diversen anderen, wirklich faszinierenden Ausstellungen, wie etwa über diverse frühe südamerikanische Kulturen, hat mir ganz besonders die große Ozeanien-Ausstellung gefallen. Neben einigen wirklich skurilen künstlerischen Darstellungen diversen lebender und mythologischer Wesen, kompletten Katamaranen, Langhäusern und einer Unzahl verschiedener Waffen, Werkzeuge und Gebrauchsgegenstände lag dort auch diese Mandibula eines Wales. Der Aufschrift nach stammt er von den südlichen Salomon-Inseln, also einer Inselgruppe im Süd-Pazifik, und wurde im Jahre 1934 gesammet. Die Zähne diverser Wale wurden und werden dort teilweise immer noch als Zahlungs-oder Prestigeobjekte gehandelt, wobei der größte Wert natürlich den großen Pottwalzähnen zukommt. Diese noch weitgehend intakte Mandibula wurde allerdings als ein Delphinunterkiefer beschriftet. Wer sich etwas mit Walen und ihrer Anatomie auskennt, dürfte aber sicherlich sofort erkennen, dass es sich hierbei keineswegs um den Unterkiefer irgend eines Delphines handelt. Die Photos sind leider nicht ganz so toll, weil ich sie ohne Blitz machen mußte, und auch das Stativ nicht verwenden konnte.
Wie man sieht zeigt dieser Unterkiefer eine ganze Reihe von Besonderheiten, etwa die extrem weit auseinander stehenden Kieferäste, welche dem ganzen Kiefer in der Aufsicht ein sehr Y-artiges Aussehen geben. Insgesamt ist der Teil in dem die Zahnbögen stehen auch nur ungewöhnlich kurz im Verhältnis zur Gesamtlänge. Auch fällt auf, dass der Hinterteil der Kieferäste beinahe nur papierdünn ist, was man auch ganz gut an der Beschädigung am Hinterende des rechten Kieferastes sieht.
Sehr ungewöhnlich für einen Wal sind auch die Zähne. Insgesamt 14 Stück in jeder Kieferhälfte, sind sie extrem lang, dünn, und dazu auch noch ziemlich spitz. Man sieht auf dem unteren Bild auch ganz gut die gekrümmte Form, die beinahe schon an jene von Pythonzähnen erinnert.
Hier sieht man noch mal gut die Y-Form des Unterkiefers.
Um was für einen Kiefer handelt es sich hier also? Anhand der aufgeführten Merkmale kann man mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass er von einer der Kogia-Arten stammt, also entweder von einem Kleinen Pottwal (Kogia simus) oder einem Zwergpottwal (Kogia breviceps). Ersterer hat im Unterkiefer in der Regel 7-13 Zähne pro Seite, während es beim Zwergpottwal zwischen 10 und 16 pro Kieferhälfte sind. Daher vermute ich mal eher, dass es sich um Kogia breviceps handelt, und nicht um Kogia simus. Diese kleinen, und auch ziemlich unbekannten Wale sind wirklich hochinteressant. Nicht nur dass sie ziemlich merkwürdige Kiefer besitzen, sie haben auch andere Merkwürdigkeiten zu bieten, wie etwa die Verteidungsstrategie sich bei Haiangriffen in einer undurchsichtigen Wolke aus Kot zu verstecken… Für alle die noch nie ein Bild von einem Zwergpottwal gesehen haben, stelle ich hier mal eines von Wikipedia rein:
Man könnte leicht der Annahme verfallen, dass Zwergpottwale und Kleinpottwale praktisch ursprüngliche „Stammformen“ des hochspezialisierten Pottwales sind. Doch auch wenn ihr Äußeres weniger spektakulär anmutet als jenes des gewaltigen Physeter catodon, zeigt sich bei der genaueren Betrachtung ihrer Schädelanatomie, dass sie sogar noch viel komplexer und höher entwickelt ist, als jene ihres riesigen Verwandten. Vielleicht sahen die frühen Vorfahren der Pottwale tatsächlich so ähnlich aus wie die heutigen Kogia-Arten, nur mit etwas längeren Schädeln vermutlich, ähnlich der aus der peruanischen Pisco-Formation (über die tollen Sachen die man dort gefunden hat irgendwann mehr…) bekannten Art Scaphokogia cochlearis, die möglicherweise zu einem Schwestertaxon der Kogia-Gattung gehörte. Interessant ist, dass auch die Zwerg-und Kleinpottwale üblicherweise nur im Unterkiefer Zähne haben, auch wenn bei Kogia simus teilweise bis zu sechs verkümmerte Zähne im Oberkiefer auftreten können. Frühe Pottwale mit gut ausgebildeten Zähnen in beiden Kiefern kennt man ja auch einige, nicht nur die Orca-artigen Killerpottwale wie Zygophyseter varolai oder Brygmophyseter shigensis, sondern auch Formen wie Idiorophus patagonicus, dessen Gebiss vermuten lassen könnte, dass er bereits auf dem Weg zu einem spezialisiertem Kalmarjäger war.
Wie ihr großer Verwandte, der Pottwal Physeter catodon, tauchen sie zum Jagen in große Tiefen herab, um dort vor allem Cephalopoden zu jagen. Dabei tauchen sie nicht einfach mit dem Kopf voran ab, wie man es eigentlich erwarten würde, sondern versinken einfach völlig laut-und bewegungslos unter die Wasseroberfläche.