Die Folgen der Domestikation beim Schweineschädel

Das Hausschwein gehört in unserem Kulturkreis zweifellos zu den wichtigsten Nutztieren überhaupt. Die lange und sehr intensive Zucht hat dabei auch ihre Spuren in der Anatomie dieser hinterlassen. Nicht nur dass so relativ belanglose Merkmale wie etwa die Farbe oder auch der Fettansatz nach speziellen Kriterien selektiert wurden, es gab auch weitaus massivere Änderungen in der Anatomie. Etwa besitzen die meisten heutigen Hausschweine 16 oder sogar 17 Rippenpaare, Wildschweine dagegen nur 14 Paare. Die in aller Regel angeführte Darstellung, dass dem Hausschwein zusätzliche Rippenpaare „angezüchtet“ wurden, ist dabei aber sehr unglücklich. Zusätzliche Rippenpaare kann man nicht einfach anzüchten, denn derartige Veränderungen gehen auf zufällige Mutationen zurück, deren Auftreten man nicht gezielt herbeiführen kann. Es wurden also keine zusätzlichen Rippen angezüchtet, sondern Schweine die dieses Merkmal aufwiesen, gezielt selektiv weitergezüchtet um dieses Merkmal reinerbig zu festigen. Rippen hängen üblicherweise ja auch nicht im Nichts, darum gehen sie selbstverständlich auch mit einer Zunahme der Wirbel einher. Als Folge davon sind moderne Hausschweinrassen auch in ihrem Erscheinungsbild deutlich länger als Wildschweine.

Besonders massiv sieht man die Folgen der Domestikation wenn man einmal die Schädel von modernen Hausschweinen mit jenen von Wildschweinen vergleicht. Ich schreibe bewußt „moderne“ Hausschweine, denn die Zucht auf möglichst schnelles Wachstum und möglichst hohen Fleischertrag begann erst etwa um 1900, davor hatten die meisten Schweine immer relativ stark ihrer Stammform geähnelt. Sie waren insgesamt kleiner und auch zierlicher als heute, mit einer deutlich längeren Schnauze und oft auch noch von deutlich mehr Borsten bedeckt. Vor allem in unindustrialisierten Gebieten haben sich teilweise auch noch heute sehr ursprüngliche Rassen erhalten können, die auch noch keine Merkmale wie etwa zusätzliche Wirbel und Rippen aufweisen, und sich auch in ihrem Schädel nicht ganz so massiv von Wildschweinen unterscheiden. Dieses Photo habe ich im Bauerhof-Bereich der Stuttgarter Wilhelma gemacht, wo auch noch verschiedene alte und beinahe ausgestorbene Nutztierrassen gehalten werden:

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Die Schädel dieses Haus-und Wildschweines unterscheiden sich so massiv voneinander, dass man sie für völlig unterschiedliche Arten halten könnte. Der Schädel des Hausschweines ist nicht nur deutlich kürzer und höher, sondern weicht auch in einer ganzen Reihe von anderen Details ab, etwa der massiven Verkürzung des Nasenbeines, das beim Wildschwein noch etwa auf gleicher Höhe mit dem vordersten Teil des Oberkiefers liegt. Während beim Wildschwein die Schnauzenregion des Schädels eine konvexe Oberfläche aufweist, ist sie dagegen bei diesem Hausschweinschädel schon konkav, außerdem fällt auch, dass der Stirnbereich regelrecht aufgequollen wirkt.

Besonders augenfällige Unterschiede findet man auch beim Gebiss. Nicht nur dass mit der allgemeinen Verkürzung des Schädels auch weniger Platz für die entsprechenden Zähne ist (Schweine haben ein sehr ursprüngliches Gebiss mit einer großen Anzahl von Zähnen), auch die Orientierung ist teilweise völlig anders. Bei Wildschweinen (wie auch bei allen anderen echen Schweinen) wachsen die Oberkiefereckzähne nicht nach unten, sondern verdreht nach oben, so dass die Spitzen nach oben weisen und sie sich großflächig mit den Eckzähnen der Unterkiefers facettenartig abschleifen (außer beim Babirussa, weil bei den Ebern dieser Art die oberen Eckzähne ja bekanntlich direkt außerhalb des Maules durch die Schnauze wachsen). Bei diesem Hausschweinschädel jedoch ragen die oberen Eckzähne praktisch „normsl“ noch unten, ganz ähnlich wie bei einem Pekari. Dieses Merkmal ist nicht bei allen Hausschweinen so extrem ausgeprägt, bei manchen ragen die oberen Eckzähne tatsächlich noch nach oben, bei anderen ragen sie zur Seite. Das auch bei diesem Hausschwein die Eckzähne nicht gerade in einer physiologisch besonders günstigen Richtung wuchsen, kann man gut bei diesem Bild sehen:

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Aber das ist nicht die einzige Anomalie des Gebisses. Betrachtet man die Schneidezähne, so erkennt man dass diese nicht nur leicht schief und lückig stehen, sondern auch in einer ganz anderen Verzahnung als beim Wildschein. Durch die massive Verkürzung des Schädels kann es zu einer ganzen Reihe von Fehlstellungen der Schneidezähne kommen, ein Phänomen das auch bei vielen kurzköpfigen Hunderassen auftritt, und dort von den Züchtern teilweise sogar als Rassemerkmal bewußt weitergezüchtet wird. Es kann zu einem offenen Biss kommen, bei dem die Schneidezähne von Ober-und Unterkiefer sich nicht mehr gegenseitig übergreifen, sondern selbst bei völlig geschlossenem Maul noch auseinander klaffen. Sie können aber auch so stehen, dass sie direkt aufeinander treffen, und sich so gegenseitig an horizontal flach abschleifen, das wäre ein sogenannter Kopfbiss. Sehr häufig findet man aber auch einen umgekehrten Überbiss, wenn der Oberkiefer so stark verkürzt ist, dass die unteren Schneidezähne vor den oberen stehen, also genau andersherum als es normalerweise sein sollte. All diese Gebissanomalien kann man in vergleichbarer Form auch gelegentlich im menschlichen Gebiss finden, wo sie bei den Betroffenen teilweise massive Unannehmlichkeiten verursachen können, doch dass beinahe jedes Zuchtschwein so etwas hat, macht sich fast niemand bewußt.

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Es gäbe zu diesem Thema noch weitaus mehr zu schreiben, denn bei Schweinen gibt es noch eine ganze Reihe anderer seltsamer Merkmale die im Laufe der Domestikation bei einigen Rassen aufgetreten sind, etwa dasVerschmelzen der Hufe (eigentlich ist das schon echte Makroevolution) oder seltsame „Glöckchen“ wie bei Ziegen, die es bei alten irischen Rassen teilweise gegeben hat.

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5 Antworten zu Die Folgen der Domestikation beim Schweineschädel

  1. Find ich eine tolle sache habe auf meinem Blog auch mal einen Artikel dazu verfasst eventuell schaust du mal rein wird dich sicher Interessieren Tierbetreuung

  2. Tierbetreuer sagt:

    Find ich eine tolle sache habe auf meinem Blog auch mal einen Artikel dazu verfasst eventuell schaust du mal rein wird dich sicher Interessieren

  3. Klasse Bericht. Habe ich mit Freude gelesen 🙂

  4. Brigitta Blume sagt:

    Der abgebildete Schaedel des „Hausschweines“ stammt von einem Fettschwein. Diese Rassen sind nur bis in die 50er Jahre gezuechtet worden und inzwischen ebenfalls vom Aussterben bedroht. Sollte man vielleicht mal aktualisieren.

    http://schweine.pecudis.de/DE_Entwicklung.html

  5. Markus Bühler sagt:

    Danke für die Information. Aber nun würde mich doch interessieren inwieweit sich die Schädel dieser Sorten von den moderneren Rassen unterscheiden.

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