Fossile Wale Teil 8: Cynthiacetus, Masracetus und andere wenig bekannte Archaeoceti

Hier kommt nun der vorerst letzte Teil aus der Reihe über fossile Wale. Ich habe zwar noch ein paar mehr geplant, aber ich möchte auch zwischendurch wieder einmal über andere Dinge schreiben. Da die bisherigen Teile immer jeweils mit einem sehr großen Schreibaufwand verbunden waren, möchte ich lieber wieder einmal zwischendurch kürzere, dafür aber nach Möglichkeit häufigere und abwechslungsreichere Blogposts veröffentlichen.

Wie ich bereits im ersten Teil angedeutet habe, bestand die Welt der Archaeoceti aus weitaus mehr Arten als gemeinhin bekannt ist, und war keineswegs nur auf Basilosaurus und Dorudon beschränkt. Was ersteren angeht, so muss man sich ohnehin einmal begrifflich machen dass die verschiedenen Arten der Gattung Basilosaurus bereits hochspezialisierte und obendrein sehr sehr große Tiere gewesen sind, und natürlich hatte auch diese evolutionäre Linie ihre Entwicklungsgeschichte mit entsprechenden Zwischenformen. Entsprechend gab es in der Ahnenlinie der großen und extrem langgestreckten Basilosaurier auch kompaktere und kleinere Arten. Man muss sich auch einmal vor Augen halten was für eine enorme Diversität und Artenfülle die lebenden Wale besitzen, welche alle Ozeane der Welt besiedeln. Das ist aber kein modernes Phänomen, auch die Walfauna der letzten 10, 20, 30 und 40 Millionen Jahre war bereits unglaublich divers und vielgestaltig, mit zahlreichen Entwicklungslinien und Formen welche teilweise modernen gleichen, teilweise aber heute keine Entsprechungen mehr haben. Bereits zu ihrer Zeit waren die ersten ausschließlich im Wasser lebenden Wale die bestangepassten Meeressäuger überhaupt, denen sich ein gewaltiger Lebensraum, eine Fülle an Nahrung und nur relativ wenig Konkurrenz bot, welche vor allem aus den ohnehin nur in wärmeren Regionen lebenden Meereskrokodilen und natürlich Haien bestand.

Insofern ist es wenig erstaunlich dass schon zu einem sehr frühem Zeitpunkt die Urwale eine Vielfalt an Größen und Formen entwickelten, welche weit über das hinausging, was man normalerweise zu sehen bekommt. Am bekanntesten ist hier zweifellos die Gattung Dorudon, auf die weiter unten noch einmal weiter eingegangen werden soll. Viele dieser Formen sind leider nur durch recht fragmentarische Fossilien bekannt, aber von einigen sind tatsächlich auch relativ vollständige Skelett gefunden worden, beispielsweise von Cynthiacetus. Von dieser zu den Dorudontinen gehörenden Gattung wurden an mehreren Stellen der Welt Fossilien gefunden, etwa in den USA am Mississippi, in Ägypten und vor kurzem auch in Peru. Die Überreste aus Peru, anhand deren eine neuen Spezies, Cynthiacetus peruvianus, beschrieben wurde, sind außerordentlich vollständig. Das unten zu sehende Skelett (Photo von Wikipedia) musste daher nur relativ geringfügig rekonstruiert werden (man achte auf die kleine Rekonstruktion unten, bei der genau das falsch gemacht wurde, was ich im ersten Teil beschrieben habe, nämlich fehlende Lippen und eine „Schädelschnauze“):

Cynthiacetus Skelett (Quelle Wikipedia)

Robert Boessenecker hat eine sehr schöne Zeichnung des Skeletts samt Umrisszeichnung angefertig, bei der aber zu beachten ist, dass sie auf einer leicht schrägen Ansicht basiert, ähnlich wie auf dem oberen Photo. Daher war die Lenden-und Schwanzwirbelsäule insgesamt etwas länger als es hier auf den ersten Blick erscheint.

Cynthiacetus peruvianus by Robert Boessenecker

Cynthiacetus war bereits ein recht großer Wal, mit einem Schädel von etwa einem Meter Länge, und in seiner Gesamtgröße vergleichbar mit einer der kleineren bis mittelgroßen Schwertwal-Spezies. Bei dieser Größe ist es durchaus vorstellbar dass ihre Beute auch aus mehr als nur Fischen und Kopffüßern bestanden haben könnte. Während dies bei Cynthiacetus bisher eher Spekulation sein dürfte, erscheint es bei einer anderen Art durchaus sehr wahrscheinlich, dass sie auch größere Beutetiere wie Meeresreptilien, Wasservögel und wohl auch kleinere Wale erbeutet haben dürften. Diese Art war Masracetus markgrafi, ein sehr großer Basilosauride, der allerdings in seinen Körperproportionen eher dem viel bekannteren Dorudon entsprach. Die Größe des Kopfes und die Dicke des Körpers entsprachen in etwa Basilosaurus, aber die Wirbel waren teilweise erheblich kürzer, so dass Masracetus nur etwa halb so lang gewesen sein dürfte. Merkwürdigerweise kann man sowohl von Cynthiacetus als auch von Masracetus teilweise extrem übertriebene Längen von 20-30 m im Internet lesen, was allerdings in keinster Weise den Tatsachen entsprich. Nichtsdestotrotz war Masracetus ein Riese, größer als jeder Schwertwal, und zweifellos in der Lage auch sehr große Beutetiere zu überwältigen.

Mein guter Freund Cameron McCormick hat vor einiger Zeit eine sehr schöne Rekonstruktion von Basilosaurus angefertigt, welche auf einer modifizierten Version des Basilosaurus cetoides von Allan Kellogg (1936) basiert, welche aber mit zu wenig Wirbeln rekonstruiert war. Da Dorudon, Cynthiacetus, Masracetus und Basilosaurus alle sehr ähnliche Schädel hatten, und sich abgesehen von Anzahl und Länge der Wirbel im Skelett nicht allzu sehr unterschieden, habe ich einfach Camerons Basilosaurus etwas modifiziert, um daraus die anderen Arten zu „basteln“. Daher entsprechen auch die Wirbelzahlen NICHT den bekannten Teilen der Originalskelette, was der Illustration allerdings bei einer reinen Darstellung der Größenverhältnisse wenig ausmacht.

Um eine etwas bessere Vorstellung davon zu bekommen, wie groß diese Wale waren, habe ich hier eine kleine Collage erstellt. Der Taucher zum Größenvergleich stammt ursprünglich von einem Bild Carl Buells von Mammalodon. Von oben nach unten sieht man Dorudon atrox, Cynthiacetus peruvianus und Masracetus markgrafi:

Dorudon atrox, Cynthiacetus und Masracetus markgrafi

Ein weiterer von sehr gut erhaltenen Fossilien bekannter Urwal ist Zygorhiza kochii aus dem späten Eozän Nordamerikas. Diese Art hatte besonders lange und schmale Kiefer, und erreichte eine Länge von etwa 6 m. Hier ein Photo von Wikipedia:

Zygorhiza_kochii_(Wikipedia)

Obwohl Dorudon schon allgemein recht bekannt ist, soll die Gattung hier noch einmal Erwähnung finden, vor allem weil die sehr vollständig erhaltenen Fossilien einen guten Einblick in die Anatomie und Evolution der frühen Wale ermöglichen. Diese Tiere waren bereits komplett im Wasser lebende Meeressäuger, aber dennoch wiesen sie noch viele Merkmale auf, welche an ihre teilweise an Land lebenden Vorfahren erinnerten. Daher ist weiter unten noch einmal des Skelett von Dorudon atrox (von Wikipedia) zu sehen. Beginnt man beim Schädel, so fallen vor allem die sehr großen und heterodonten Zähne auf. Die meisten modernen Wale, mit wenigen Ausnahmen wie etwa Orcas und Kleinen Schwertwalen, besitzen im Verhältnis zur Körpergröße relativ kleine Zähne. Diese sind obendrein mit Ausnahme bestimmter Arten wie dem Amazonas-Flussdelfin fast immer homodont, also von ähnlicher Form, und in der Regel auch deutlich zahlreicher als im Urgebiss der Säugetiere, welches sich noch bei den Archaeoceti findet. Betrachtet man noch einmal den Schädel isoliert, sieht man auch sehr schön wie sehr er den noch an Land gehenden Formen wie Maiacetus ähnelt. Im Gegensatz zu diesen ist aber beispielsweise die Nasenöffnung bereits deutlich weiter hinten, eine Tendenz welche in den darauf folgenden Jahrmillionen immer immer weiter gehen, und ihr Ziel kurz vor den Augen finden sollte.

Die Halswirbel waren auch noch etwas länger und nicht wie bei den meisten modernen Walen miteinander verschmolzen. Die Flossen sind auch noch klar als umgewandelte Vorderbeine zu erkennen, und hatten einen echten Ellenbogen, während bei heutigen Walen der Oberarmknochen extrem verkürzt und mit Elle und Speiche verwachsen ist. Dafür sind bei ihnen die Fingerglieder üblicherweise in ihrer Zahl vermehrt.

Dorudon_atrox2

Die Hintergliedmaßen moderner Wale sind nur noch sehr klein, da ihre Anlagen während der Embryonalentwicklung vom Körper größtenteils wieder zerstört werden, so dass nur noch kleine Knochenfragmente von Becken und hinteren Gliedmaßenknochen erhalten bleiben. Nur in sehr seltenen Fällen, wie etwa bei einem erst vor wenigen Jahren entdeckten Großen Tümmler in Japan oder einem 1919 vor Vancouver gefangenen Buckelwal dokumentiert, geht bei diesem „Reduktionsprogramm“ während des Wachstums etwas schief, so dass auch später noch äußere Hinterflossen vorhanden sind. Bei Dorudon und den anderen Urwalen waren die Hintergliedmaßen in Größe und Funktion bereits extrem reduziert, aber in Bezug auf ihre knöchernen Elemente noch fast vollständig.

Die Schwanzregion der modernen Wale ist in der regel äußerst schmal, was sich auch an den Wirbeln zeigt, die bei den Archaeoceti allerdings noch breiter waren. Bei einer Fortbewegung durch eine horizontal stehende Schwanzflosse macht ein möglichst schmaler Schwanz auch Sinn, um wenig Wiederstand im Wasser zu bieten, wenn er auf und ab schlägt und das Zentrum der Wasserverdrängung möglichst auf die Fluke konzentriert wird. Was die Schwanzflosse selbst betrifft, so kann man anhand der Verbreiterung an der Spitze der Schwanzwirbelsäule von Dorudon erkennen dass sie bereits durchaus vorhanden war. Allerdings war sie weniger ausgeprägt als bei modernen Walen, und vielleicht waren auch ihre Schwanzflossen noch kleiner und rundlicher. Wie genaus sie allerdings ausgesehen haben, ist sehr sehr schwer zu sagen. Irgendwann müssen sie von einer ovalen Form zu einer eher dreieckigen oder gelappten Form übergegangen sein, aber da dieses Gewebe nicht fossil überliefert wird (und es sind im Gegensatz zu Ichthyosauriern leider keine Archaeoceti-Fossilien mit Hautabdrücken bekannt), ist das genaue wann und wie Spekulation.

Wenn man beispielsweise in „Die Erben der Dinosaurier“ gesehen hat wie Dorudon als relativ hilflose Beute von Basilosaurus gefressen wurde (dazu mehr im nächsten Teil), macht man sich auch nicht wirklich bewusst wie groß Dorudon tatsächlich gewesen ist, und über was für gewaltige Kiefer diese Tiere verfügten. Wer einmal die Gelegenheit hat Fossilien von Dorudon zu sehen, wird erstaunt sein wie eindrucksvoll die Zähne, und wie groß der Schädel war. Tatsächlich war den Schädel von Dorudon sogar nur etwa ein Drittel kleiner (in linearen Dimensionen) als der von Basilosaurus. Insgesamt gibt es in Deutschland leider nicht übermäßig viele Museen mit Fossilien von Archaeoceti und anderen fossilen Walen, etwa im Vivarium in Karlsruhe, wo ich auch unten zu sehendes Photo gemacht habe:

Dorudon Mandibula Karlsruhe

Die Anzahl der fossilen Wale wächst ständig, immer wieder werden neue Arten entdeckt, sei es durch Funde bei aktuellen Ausgrabungen oder bei der Untersuchung alter, noch nicht oder falsch bestimmten Archivmaterials. Die hier vorgestellten Arten sind nur ein sehr kleiner Ausschnitt einer einstmals noch weitaus vielfältigeren Urwalfauna. Man darf sich diese Urmeere nicht als einen leeren Ozean vorstellen in dem außer Fischen nur eine kleine Handvoll Arten von Urwalen schwammen. Bereits relativ früh gab es kleine, mittlere, große und riesige Arten, solche wie Makaracetus welche äußerst bizarre Spezialisierungen entwickelten, während gleichzeitig immer noch teilweise terrestrisch lebende Nachfahren der Protowale wie Otter oder Robben an den Küsten lebten.

Zum Schluss noch einmal ein weiteres Bild dreier erst kürzlich entdeckter Arten aus Peru, illustriert von Carl Buell. Hinter dem langschnäbeligen Pinguin Perudyptes devriesi sieht man einen bisher noch nicht benannten Protocetiden, und darunter die Basilosauriden Ocucajea picklingi und Supayacetus muizoni, welche den vor allem der Gattung Basilosaurus gewidmeten nächsten Teil einleiten.

Perudyptes devriesi, unnamed protocetid, Ocucajea picklingi, and Supayacetus muizoni

 

Quellen:

CONTRIBUTIONS FROM THE MUSEUM OF PALEONTOLOGY THE UNIVERSITY OF MICHIGAN
VOL. 31, NO. 13, PP. 363-378 December 20, 2007
STROMERIUS NIDENSIS, NEW ARCHAEOCETE (MAMMALIA, CETACEA) FROM THE UPPER EOCENE QASR EL-SAGHA FORMATION, FAYUM, EGYPT
BY PHILIP D. GINGERICH

Mark D. Uhen, Nicholas D. Pyenson, Thomas J. Devries, Mario Urbina and Paul R. Renne (2011). „New Middle Eocene Whales from the Pisco Basin of Peru“. Journal of Paleontology 85

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2 Antworten zu Fossile Wale Teil 8: Cynthiacetus, Masracetus und andere wenig bekannte Archaeoceti

  1. Rebecca sagt:

    Was für eine interessante Reihe über die Urwale! Ich werde sicher noch mehr dieses Blogs lesen. Ursprünglich war ich auf der Suche nach Schwanzflossen: warum bewegen sich Fische, Krokodile und Otter mit horizontalen Schwanzschlägen vorwärts und Wale, Seekühe und Biber mit vertikalen? Könnte es mit an der Auftauchbewegung zum Atmen liegen? Haben sich die Urwale kopfüber in die Fluten gestürzt? (Aber Otter bewegen sich ja ähnlich, schlängeln sich aber doch eher lateral). Wilde Spekulationen nachts um halb drei 😉

  2. Markus Bühler sagt:

    Das hat möglicherweise auch etwas mit der Anatomie der ursprünglich rein terrestrisch lebenden Vorfahren zu tun. Auch bei Otterspitzmäusen oder auch Desmanen findet man einen seitlich abgeplatteten Schwanz. Aber Otter haben eigentlich keinen seitlich abgeflachten Schwanz, sondern einen leicht abgeplatteten.

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